Ein Jugendlicher tippt auf einem Smartphone eine WhatsApp Nachricht.

Sachsen-Anhalt Jugendliche und Missbrauchsdarstellungen: "Das Material, das sie dort sehen, überfordert sie"

Stand: 18.04.2025 13:42 Uhr

Immer häufiger teilen Jugendliche in Chatgruppen Fotos oder Videos, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. Nach Einschätzung einer Jugendschutz-Expertin verbreiten viele Minderjährige die Darstellungen als Mutprobe. Von einem Handyverbot hält sie nichts.

Von Uli Wittstock, MDR SACHSEN-ANHALT

Das Handy ist für viele das Tor zur Welt, was leider auch die Unterwelt einschließt. Kinder und Jugendliche tasten sich ins Leben, und das sowohl in der realen wie in der digitalen Welt.

Und da gehören schon immer Mutproben dazu, und das nicht nur beim Bäumeklettern, sondern auch bei der Mediennutzung. Da werden Horrorfilme konsumiert, um zu zeigen, wie erwachsen man ist, oder eben auch pornografische Inhalte geteilt.

Expertin: Jugendliche an Mainstream-Pornografie interessiert

Katja Bach ist Jugendschutzreferentin bei der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz in Magdeburg. "Natürlich haben Jugendliche ein Interesse daran, pornografische Inhalte zu sehen, aber da geht es eher um Mainstream-Pornografie – um zu wissen, was erwartet mich, in welche Richtung geht es."

Die sexuelle Aufklärung an Schulen oder in den Familien wird wohl die Angebote des Netzes nicht ersetzen können.

Verbreiten der Fotos und Videos als Mutprobe

Dass zunehmend Darstellungen von Kindesmissbrauch unter Jugendlichen kursieren, habe jedoch mit dieser natürlichen Neugier kaum etwas zu tun, sagt Bach. Eine sexuelle Absicht stecke in den allermeisten Fällen aber auch nicht dahinter.

Das Material, das sie dort sehen, überfordert sie. Katja Bach | Jugendschutzreferentin bei der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz

Stattdessen falle auch dies in den Bereich der Mutproben: "Das Material, das sie dort sehen, überfordert sie. Und weil sie eben so mutig sind, sich solche krassen Inhalte anzuschauen, schicken sie das an ihre Freunde, um zu gucken, ob die genauso mutig sind."

Eine blonde Frau in einem Büro

Katja Bach ist Jugendschutzreferentin bei der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz in Magdeburg.

Deutlicher Anstieg der Zahlen

Dass Kindesmissbrauch strafbar ist, wissen die Heranwachsenden, dass aber auch ein Foto auf dem Handy oder im Chat strafbar ist, wissen viele nicht. Solche Darstellungen werden aber auch verwendet, um andere zu mobben. Da ist dann die Sachlage eine andere, denn man kann eine herabwürdigende Absicht unterstellen.

Waren es 2023 noch rund 100 Fälle von Kindern, die verdächtig wurden, Missbrauchsmaterial zu teilen, so waren es im 2024 schon 300 minderjährige Verdächtige. Das ist eine Verdreifachung der Zahlen. Auch bei den Jugendlichen ist die Zahl der Tatverdächtigen gestiegen, von 175 auf 268.

Expertin: Hohe Fallzahlen, weil viele in einer Chatgruppe sind

Katja Bach von der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz warnt jedoch, die Entwicklung überzubewerten. "Wir kommen natürlich schnell zu diesen hohen Zahlen von Tatverdächtigen. Wenn 25 Kinder in so einer Chatgruppe sind, dann wird die Polizei gucken, wer von diesen 25 im Besitz von diesem Foto sein könnte."

Grundsätzlich ermittelt die Polizei in jedem einzelnen Verdachtsfall, unabhängig vom Alter der Verdächtigen. Das Team von der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz hat eine Handreichung für Eltern und Erzieher zusammengestellt, die im Internet zu finden ist.

Große Nachfrage nach Beratung und Prävention

Aber auch die Nachfrage nach Beratung und Prävention sei groß, sagt Katja Bach. "Die Verantwortlichen sind sehr interessiert an dem Thema, denn Fachkräfte sind aufgrund des Generationenunterschieds sehr abgehängt von Dingen, die Kinder digital tun."

Das dürfte wohl auch für einen großen Teil der Eltern gelten, die ebenfalls nur einen Bruchteil von dem kennen, was die Heranwachsenden denn im Internet so treiben.

Medienumgang als Schlüsselqualifikation

Für das Leben lernen, diesen Anspruch formulieren Schulen als Bildungsziel, doch viele Bereiche bleiben davon unberührt, vor allem wenn es um digitale Themen geht. Lesen, Schreiben, Rechnen sind natürlich Schlüsselqualifikationen, aber auch der richtige Umgang mit Medien gehört dazu.

Ein eigenes Schulfach brauche es da nicht, sagt Katja Bach, man könne das Thema auch so in den Schulalltag integrieren.

Eine reine Bewahrpädagogik, also die Kinder von Handys fernzuhalten, schult sie ja nicht. Katja Bach | Jugendschutzreferentin bei der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz

Expertin gegen Handyverbot an Schulen

Und auch von der Idee eines Handyverbots an Schulen hält sie nichts: "Eine reine Bewahrpädagogik, also die Kinder von Handys fernzuhalten, schult sie ja nicht. Je früher wir anfangen, einen richtigen Umgang damit zu vermitteln, umso besser gelingt es, dann auch mit problematischen Inhalten umzugehen."

Wenn so ein Fall erstmalig an Schulen auftritt, dann sei die Reaktion oft überstürzt und von gewisser Hilflosigkeit geprägt. Umso wichtiger sei es, auch für solche Fälle vorbereitet zu sein. Das betreffe Eltern und Schulpersonal gleichermaßen.

MDR (Uli Wittstock, Felix Fahnert)