
Koalitionsvertrag Ist ein Mitgliedervotum rechtlich zulässig?
Zwei Wochen haben die SPD-Mitglieder Zeit, um über den Koalitionsvertrag mit der Union abzustimmen. Dass der Parteibasis dabei so viel Macht zukommt, stößt immer wieder auf Kritik. Ist das Vorgehen rechtmäßig?
Die künftige Regierung steht in den Startlöchern. Während bei der CDU der Bundesausschuss zustimmen muss, befragt die SPD ihre Mitglieder. Solche Mitgliederentscheide sind ein beliebtes Mittel von Parteien, um sich die Unterstützung ihrer Basis für politische Vorhaben abzusichern. Es ist das dritte Mal, dass die SPD den Eintritt in eine Koalition von so einer Abstimmung abhängig macht.
Immer wieder werden in diesem Zusammenhang verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. So war es schon 2013, als die Sozialdemokraten unter dem Vorsitz von Sigmar Gabriel ihren Eintritt in die zweite Große Koalition mit der Merkel-CDU von einem Mitgliedervotum abhängig machten.
Eine Privatperson klagte damals sogar vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und wollte die Abstimmung per Eilverfahren gerichtlich stoppen lassen. Die Argumente: So ein Mitgliedervotum sei nicht vereinbar mit dem "freien Mandat der Abgeordneten" und untergrabe die Grundsätze der repräsentativen Demokratie.
Zweifel an Vereinbarkeit mit freiem Mandat
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". So steht es im Grundgesetz. Der Grundsatz des "freien Mandats" ist in der Verfassung also klar geregelt. Entscheidungen der Abgeordneten müssen immer unabhängig und selbstständig getroffen werden.
Durch einen Mitgliederentscheid wird den SPD-Abgeordneten aber quasi vorgegeben, wie sie bei der Kanzlerwahl abstimmen sollen. Dies verstoße gegen die Verfassung, wird immer wieder vorgebracht.
Außerdem untergrabe die parteiinterne Abstimmung die vorausgegangene Bundestagswahl. Auf einmal entscheiden nicht mehr die etwa 60 Millionen Wahlberechtigten über die Politik der nächsten Jahre, sondern nur noch die Mitglieder einer Partei, also ein Bruchteil davon.
Bei dieser Befragung könnten sogar Personen abstimmen, die überhaupt nicht zur Bundestagswahl zugelassen waren - etwa minderjährige Parteimitglieder. Das sei vom Grundgesetz nicht vorgesehen und stelle eine Verletzung der repräsentativen Demokratie dar, argumentierten Rechtsexperten.
Bundesverfassungsgericht hält dagegen
Die Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht ließen sich von dieser Argumentation bisher nicht überzeugen. Den Eilantrag des Bürgers 2013 lehnte das Gericht ab und führte dabei vor allem aus, dass Parteien und Fraktionen ihren Abgeordneten eine Leitlinie vorgeben können. Sie dürften auch versuchen, sie von einer bestimmten Entscheidung zu überzeugen.
Solange es hierbei nur bei einer Empfehlung bleibe und Abweichlern keine Sanktionen drohten, sei das politischer Alltag. Es sei nicht erkennbar, dass die Abstimmung über den Koalitionsvertrag "für die betroffenen Abgeordneten Verpflichtungen begründen". Sie sei vielmehr nur für die Partei als solche verbindlich. Deshalb reiche auch dieses Votum nicht weiter als eine politische Empfehlung. Wie die einzelnen Abgeordneten der SPD bei der Kanzlerwahl abstimmen, können sie immer noch frei und selbstständig entscheiden.
Damit dürften auch die Zweifel an der Vereinbarkeit mit der repräsentativen Demokratie aus dem Weg geräumt sein: Das Mitgliedervotum gibt nur der SPD die politische Leitlinie vor und relativiert dadurch nicht die Bundestagswahlen. Bei der Wahl bestimmen die Wählerinnen und Wähler die Zusammensetzung des Parlaments und keine Regierungskoalition.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken
Das ist vielmehr die Aufgabe der Parteien nach einer Wahl. Und die dürfen selbst regeln, wie sie zu einer Koalitionsentscheidung kommen und wen sie dabei mitstimmen lassen. Zu diesem Ergebnis kam - ebenfalls schon 2013 - auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags.
2018 gingen noch einmal fünf Anträge beim Bundesverfassungsgericht ein - wieder mit dem Ziel, die Mitgliederbefragung zu stoppen. Die höchsten deutschen Richterinnen und Richter verwarfen sie als "offensichtlich unbegründet". Die verfassungsrechtlichen Fragen sind also geklärt: Das Grundgesetz steht dem Mitgliederentscheid nicht entgegen.