Wie im Dornröschenschlaf schlummert das Grundstück unweit der Bahntrasse in Berlin-Steglitz - dabei sollten hier schon längst Baugerüste stehen. (Queller: rbb)

Berlin Bebauung landeseigener Flächen: Wohnungsbau nach Erbbaurecht kommt in Berlin nicht in Schwung

Stand: 24.04.2025 06:49 Uhr

Im Jahr 2012 hat das Land Berlin beschlossen, landeseigene Grundstücke nicht mehr zu verkaufen. Investoren können sie aber im Erbbaurecht bebauen. Wegen hoher bürokratischer Hürden passiert jedoch vergleichsweise wenig. Von J. Göbel und U. Barthel

  • Seit 2021 nur 60 Wohnungen nach Erbbaurecht auf Berlin-eigenen Flächen gebaut
  • In Hamburg mehr als sechs Mal soviele
  • Kritik an komplizierten Verfahren bei Förderanträgen

Wie im Dornröschenschlaf schlummert das Grundstück unweit der Bahntrasse in Berlin-Steglitz - dabei sollten hier schon längst Baugerüste stehen. Stattdessen blühen Fliedersträucher und Forsythien auf dem Areal, auf dem eine kleine Gruppe von Genossenschaftlern schon seit vielen Jahren ein Mehrgenerationenhaus mit 16 Wohnungen bauen will.
 
"Ich trinke hier in Gedanken schon jeden Tag meinen Kaffee auf der Terrasse", erzählt Andrea Sunder-Plassmann aus dem Vorstand der POI-Genossenschaft. "Das Haus ist fertig geplant, die Firmen stehen in den Startlöchern und wir könnten sofort anfangen zu bauen." Doch es geht nicht voran. Denn die Genossenschaftler sind bei der Finanzierung des Projekts auch auf Fördermittel der Berliner Landesbank IBB angewiesen. Denn das Eigenkapital, dass die Mitglieder aufbringen können, reicht allein nicht zum Bauen.

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Bauherren legen neuartiges Baukonzept vor

Im Jahr 2019 ist der Jubel groß, als die noch junge Genossenschaft das Konzeptverfahren für das Grundstück gewinnt. Konzeptverfahren bedeutet, dass nicht der Meistbietende das Grundstück bekommt, sondern das beste und innovativste Bauprojekt entscheidend ist. Die POI-Genossenschaft überzeugt die Jury mit ihrer Idee für ein Haus mit veränderbaren Grundrissen - für Künstler, junge Familien und Menschen mit Behinderungen - in ökologischer Holzbauweise. Für das Grundstück schließt sie mit dem Land Berlin einen Erbbaurechtsvertrag über 60 Jahre ab.

POI-Genossenschaft. (Quelle: rbb)

POI-Genossenschaft

Das Land Berlin hat sich 2012 dazu entschlossen, keine landeseigenen Grundstücke mehr zu verkaufen, sondern sie nur im Erbbaurecht zu vergeben. Dabei verkauft der Eigentümer (Erbbaurechtsgeber) sein Grundstück nicht, sondern er gibt das Land für eine vertraglich festgelegte Laufzeit an einen Bauherrn oder einen Betrieb (Erbbaurechtsnehmer) zur Nutzung. Auf dem Grundstück kann der Erbbaurechtsnehmer eine Immobilie bauen, die dann ihm gehört. Der Grund und Boden aber bleibt weiterhin im Eigentum des Erbbaurechtsgebers.
 
Der Vorteil des Erbbaurechts für die Kommunen ist, dass sie weiterhin Eigentümer ihrer Grundstücke bleiben, aber dennoch Wohnungsbau ermöglichen. So können sie auch der Spekulation mit Bauland entgegentreten. Die Bauherren müssen nur die Baukosten aufbringen und einen jährlichen Erbbau-Zins statt eines hohen Kaufpreises zahlen. Das reduziert die Kosten und sorgt für günstige Mieten.

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Bereits eine Million Euro Eigenkapital in Planung investiert

"Wir halten Erbbaurecht auch für den richtigen Weg, denn Boden sollte Gemeingut bleiben", sagt Architektin Inka Drohn, die das Haus entworfen hat. Doch wie es in Berlin laufe, sei es viel zu kompliziert, meint sie. Inzwischen sind Banken wieder abgesprungen, die eigentlich schon eine Finanzierung zugesagt hatten. Auch die Frist für ein Darlehen der Förderbank KfW läuft Ende April ab.
 
Die Gründe für die Verzögerungen sind vielfältig: So passte zum Beispiel das neuartige Konzept der veränderbaren Grundrisse nicht zu den Richtlinien der Berliner Wohnungsbauförderung. Die Förderbank IBB will immer wieder neue Nachweise, zum Beispiel für die Finanzierung. "Wir kriegen eine Liste mit Anforderungen - dann arbeiten wir die ab. Und dann kommt erstmal ein langes Schweigen. Und dann kommt irgendwann die nächste Liste, was jetzt noch zu tun ist", berichtet die Architektin. Viele Mitglieder der Genossenschaft seien inzwischen erschöpft.

POI-Genossenschaft. (Quelle: rbb)

poi-garten

Bisher erst 60 Wohnungen auf Grundstücken im Erbbaurecht gebaut

Der Fall steht exemplarisch für viele Wohnungsbauprojekte, die auf den Erbbaurechts-Grundstücken des Landes Berlin realisiert werden sollen. Der rbb hat bei der zuständigen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) nachgefragt, wie viele Grundstücke überhaupt vergeben und wie viele Wohnungen bereits gebaut worden sind. Doch auch nach mehreren Anfragen gibt die BIM dazu keine Auskunft, weil es sich angeblich um "vertrauliche Geschäftsangaben" handelt.

rbb24 Recherche hat deshalb aus verschiedenen Quellen zumindest 20 Grundstücken ermittelt, die für die Erbbaurechtsvergabe an Genossenschaften und Baugruppen bestimmt sind. Doch tatsächlich gebaut wurde erst auf vier dieser Grundstücke: Seit 2021 sind darauf nur 60 Wohnungen entstanden.
 
Ulf Heitmann, Sprecher vom "Bündnis junge Genossenschaften" wundert sich nicht über die magere Bilanz. Denn Verfahren, die sich jahrelang hinziehen, seien die Regel. "Die Folge ist, dass die Kosten davongaloppieren und Erbbaurechtsnehmer aussteigen", sagt Heitmann. Außerdem würden die zuständigen Behörden nicht richtig miteinander kommunizieren: "Die fehlende Kommunikation führt dazu, dass der Fördernehmer wie Hase und Igel hin und her läuft und versucht, die Bedingungen zu erfüllen. Und dann bekommt er zu hören, dass es so nicht geht. Aber wie es gehen kann, hört man leider nicht in diesen Gesprächen."

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Vorbild Hamburg: Bereits 400 Wohnungen fertig

In Hamburg dagegen sieht die Bilanz besser aus. Seit 2021 werden dort landeseigene Flächen vorrangig im Erbbaurecht vergeben. Es gebe eine konstruktive Zusammenarbeit der Freien Hansestadt Hamburg und der Förderbank mit den Bauherren, erklärt Matthias Diekhöner von der Hamburger Genossenschaft mgf Gartenstadt Farmsen. Innerhalb von drei Jahren kann die Genossenschaft im Stadtteil Farmsen 275 Wohnungen bauen, mit Einstiegsmieten von 6,70 Euro pro Quadratmeter. "Allen Beteiligten war klar, dass wir sozialen Wohnungsbau in Hamburg brauchen", sagt Diekhöner im Interview mit dem rbb: "Es war ein sehr kooperatives Miteinander, was am Ende dazu geführt hat, dass wir als Unternehmen auch in so kurzer Zeit diesen Bau errichten konnten."
 
Seit 2021 werden nach Angaben der Hamburger Finanzbehörde 31 Grundstücke im Erbbaurecht für Wohnungsbauprojekte vergeben. Bislang sind 400 Wohnungen fertiggestellt. Zur Erinnerung: In Berlin sind es im selben Zeitraum nur 60.

"Andere Städte machen vor, dass es nicht kompliziert ist, es muss nur gewollt sein", meint Julian Schwarze, Sprecher für Stadtentwicklung der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Zwar räumt er ein, dass die Verfahren auch unter der rot-rot-grünen Vorgängerregierung schon sehr lange gedauert haben. Dennoch wären die Hürden unter der aktuellen Regierung noch bürokratischer, sagt Schwarze. Er befürchtet, dass viele Genossenschaften aufgeben könnten.

Senatsverwaltung kündigt Verbesserungen an

Ulf Heitmann, von den "Jungen Genossenschaften" kann sich noch an Zeiten erinnern, in denen genossenschaftliche Bauprojekte auch in Berlin schnell und unkompliziert gingen: "In den 90er Jahren gab es einen Beauftragten für die Förderung direkt in der Förderstelle in der Senatsverwaltung", sagt Heitmann. "Dort wurde dann in einem sehr schnellen Verfahren die Förderzusagen erteilt. Und da müssen wir wieder hinkommen."
 
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schreibt rbb24 Recherche, dass Verbesserungen geplant seien: "Aktuell erfolgte sowohl eine Optimierung der Verfahrensstruktur sowie eine Reduzierung der einzureichenden Unterlagen."

Für die Genossenschaftsmitglieder in Steglitz läuft derweil die Zeit ab, sie brauchen eine schnelle Lösung. "Wir haben eine Million Euro als Eigenkapital eingebracht und in die Planung investiert“, erzählt Inka Drohn. Das Geld hätten die Familien sich entweder geliehen oder es seien die eigenen Ersparnisse. "Und da kann man sich vorstellen, dass es für die Familien eine große Katastrophe wäre, wenn das Projekt jetzt scheitern würde." Noch wollen sie nicht aufgeben, aber allmählich kommen die Familien an ihre Grenzen.

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