
Berlin Forschung, Therapie, Rausch: Wie legale LSD-Derivate die Grenzen der Drogenpolitik aufzeigen
Starke Halluzinogene könnten in der Psychiatrie Abhilfe schaffen. Die Charité etwa erforscht ihre Wirkung bei Depressionen. Doch Stoffe wie LSD oder Psilocybin sind verboten. Unterdessen können LSD-Derivate legal verkauft werden. Von Oliver Noffke
Hinweis: In diesem Beitrag wird auch der Missbrauch von illegalen Drogen, Medikamenten sowie legalen Rausch- oder Suchtmitteln thematisiert. Sollten Sie oder Ihnen bekannte Personen darunter leiden, finden Sie am Ende Kontaktstellen, die Hilfe bieten können.
Wer bei LSD-Legal in Berlin-Friedrichshain einkaufen möchte, muss klingeln. "Das ist in erster Linie unser Büro", sagt Geschäftsführer Daniel Becker. "Wir wickeln viele Verkäufe online ab oder beantworten Kundenfragen." In den Produkten, die er vertreibt, steckt 1S-LSD. Ein Derivat des psychedelisch wirkenden Rauschmittels. Es ist der Chemie des Originals sehr ähnlich. Doch im Gegensatz dazu ist 1S-LSD ist legal.
"Wir verkaufen eine Forschungschemikalie, die nicht für den menschlichen Konsum bestimmt und für keinen anderen Zweck freigegeben ist." Vor vier Jahren eröffnete Becker sein Geschäft. Als Kunde habe er zuvor mehrfach schlechte Erfahrungen gemacht. Manche Händler seien unzuverlässig gewesen, andere hätten eine politische Agenda verfolgt. "Ich wollte jemanden haben, dem ich vertrauen kann. Der wie versprochen liefert", sagt er. "Da habe ich eine große Marktlücke gesehen und wollte es besser machen.

Das Geschäft laufe gut. LSD-Legal habe etwa ein Dutzend Mitarbeitende und verschicke Ware in alle Winkel der Republik. Die Kundschaft sei in keine Schublade einzuordnen, sagt Becker. Hin und wieder sehe er einen Doktor- oder Professorentitel in einer Anfrage. "Von 18 bis 80 Jahre hatten wir alles schon dabei. Das geht durch alle gesellschaftlichen Schichten."
Doch seine Ware unterliegt einem Haltbarkeitsdatum. Nicht weil es sich zersetzt, sondern weil bislang jedes LSD-Derivat irgendwann doch verboten wurde. So wird es irgendwann auch für 1S-LSD kommen, da ist sich Becker sicher. Bislang stand nach jedem Verbot ein neues Derivat bereit, das stattdessen verkauft werden konnte.
LSD ist illegal...
Lysergsäurediethylamid, kurz LSD, gilt als besonders stark wirkende psychedelische Substanz und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Darin wird es als "nicht verkehrsfähig" aufgeführt [gesetze-im-internet.de]. Es darf weder verkauft, noch verschrieben werden. Seit 1967 gilt dieses Verbot in Deutschland. Dennoch enthalten alle Produkte im Sortiment des Berliner Ladens das Molekül, das LSD ausmacht. Nur nicht in seiner Reinform.
Das zeigt, es gibt einen Wunsch nach legalem Konsum und Rausch
Es handelt sich um Derivate. Also Abkömmlinge, bei denen weitere molekulare Strukturen an der Stammverbindung angedockt sind. Vom Betäubungsmittelgesetz wird das nicht erfasst. Eine Tabelle im Anhang nennt explizit nur das reine LSD-Molekül [bfarm.de]. Eine versehentliche Gesetzeslücke ist das nicht. Wären Derivate von verbotenen Betäubungsmitteln grundsätzlich mitverboten, wäre das ein Problem. Insbesondere für die Entwicklung neuer Medikamente.
Vieles, was unter dieses Gesetz fällt, war einmal als Arznei gedacht oder wurde lange als solche verwendet. Erst als ein enormes Abhängigkeitspotential erkannt wurde, der Missbrauch problematische Züge annahm oder schlicht besser verträgliche Mittel verfügbar waren, wurden Verbote angestrengt. Das heißt aber nicht, dass diese Drogen generell keinen medizinischen Nutzen hätten. Vielmehr wurde entschieden, dass die Nachteile die Vorteile überwiegen.
...seine bekannten Derivate auch...
Über die Herstellung von Derivaten ist es möglich, bestimmte Eigenschaften einer Substanz zu unterdrücken, hervorzuheben oder auszuschalten. Ein grundsätzliches Verbot dieser Derivaten käme quasi einem Forschungsverbot auf diesem Gebiet gleich.
Diese Situation erlaubt aber auch, dass legal Derivate hergestellt werden können, die die Wirkung von verbotenen Originalstoffen möglichst nah imitieren. Die zusätzlichen molekularen Strukturen sollen dann möglichst keine Reaktionen im Körper auslösen. In etwa wie Ballaststoffe in Nahrungsmitteln.
Auch Derivate können verboten werden. Für Ableitungen von Halluzinogenen wie LSD und anderen Psychedelika wird dies über das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) geregelt, das 2016 in Kraft getreten ist [gesetze-im-internet.de]. Es erlaubt ein Verbot ganzer Stoffgruppen. So kann verhindert werden, dass zusätzliche Strukturen am LSD-Molekül auf bereits verbotenen basieren [bundesgesundheitsministerium.de].
Auch dieses Gesetz erlaubt kein grundsätzliches Verbot aller LSD-Derivate, erläutert eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums auf Anfrage von rbb|24: "Aufgrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots und der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Strafvorschriften ist es erforderlich, die Stoffgruppen hinreichend konkret zu benennen." Verboten werden kann also nur, was bekannt ist.
...mit einer Ausnahme:
Der Bundestag muss nicht jedes Mal mit einbezogen werden, um das NpSG zu erweitern. Es reicht eine Verordnung durch das Bundesgesundheitsministerium. Auch das muss begründet werden. Dieser Prozess verläuft schneller, als wenn Parlamente mit einbezogen werden müssten, nimmt aber dennoch Zeit in Anspruch. In der Praxis vergehen zwischen dem Aufkommen eines neuen LSD-Derivats und seinem Verbot etwa anderthalb bis zwei Jahre.
Aus dieser Situation heraus ist ein Katz-und-Maus-Spiel entstanden. Kommt ein neues LSD-Derivat auf den Markt, strengen die zuständigen Behörden sein Verbot an. Ist das Verbot ausgesprochen, haben findige Chemiker bereits ein neues Derivat entwickelt, das in den Verkauf nachrückt. Das jeweils neueste LSD-Derivat ist legal. Oder anders ausgedrückt: Es ist vorerst noch nicht illegal.

Ein Blotterbogen, der das Derivat 1S-LSD beinhaltet
Aus diesem Grund können in Friedrichshain Pillen, Flüssigkeiten oder Blotter - getränktes Löschpapier - verkauft werden, die LSD-Derivat enthalten. Wie genau die private Forschung damit am Ende abläuft, liegt in der Verantwortung der Kundschaft. Kaum verwunderlich, dass in Online-Foren oft von "Legal Highs" die Rede ist.
"Ich finde, das zeigt, es gibt einen Wunsch nach legalem Konsum und Rausch in Teilen der Gesellschaft", sagt Augustine Reppe von Vista, einem Träger der Drogen- und Suchthilfe in Berlin. LSD-Derivate zeigten, wie dieser Wunsch und die Gesetzgebung zu LSD sich gegenüberstehen, sagt sie. "Konsumentinnen und Konsumenten suchen sich dann solche Schlupflöcher."
Niedriges Risiko einer Abhängigkeit, gering toxisch,
Unter den illegalen Drogen nimmt LSD einen besonderen Platz ein. Das Betäubungsmittelgesetz dient vordergründig dem Verbot von Suchtmitteln, heißt es im zweiten Absatz. In den knapp 90 Jahren seit seiner Entdeckung wurde LSD gut erforscht. Das Risiko einer Abhängigkeit gilt als sehr gering, seine toxische Wirkung ebenso. Auch sind keine Todesfälle durch eine Überdosierung bekannt. Anders als bei Opiaten und Amphetaminen – oder Alkohol und Nikotin, die beide nicht unter das Gesetz fallen. Obwohl sie jedes Jahr Zehntausende Todesfälle im Land verursachen.
Auf der anderen Seite: Präventionsstellen warnen eindringlich vor einer Einnahme ohne verlässliche, nüchterne Aufsicht. LSD ist ein hochpotentes Halluzinogen. Unfälle mit Todesfolge unter seinem Einfluss sind hinreichend dokumentiert. Es löst Störungen der Wahrnehmung aus, die sich in einigen Fällen zu dauerhaften Psychosen entwickeln oder extrem unangenehm verlaufen können. In solchen ungewollten Horrortrips durch eine verzerrte Welt - bei zerfallendem Ich - besteht die Gefahr, vor der das Gesetz schützen will. Konsumenten wie ihre Mitmenschen.
Wir haben viel zu wenige Innovationen in der Pharmakologie
Fragen zu LSD gebe es in den Drogenberatungsstellen eher selten. "Es gibt natürlich Menschen, die das ab und zu in ihrer Freizeit einnehmen", sagt Augustine Reppe. "So ein Rausch kann durchaus lang andauern, intensiv, emotional und auch nicht immer schön sein. Doch wenn man es regelmäßig nimmt, stellt sich relativ schnell eine Toleranz ein." Die psychedelischen Effekte würden sich dann abschwächen oder gar nicht mehr eintreten.
Ob LSD-Derivate ein Suchtpotenzial bergen und wie genau ihre Giftstoffe wirken, sollten sie eingenommen werden, ist unklar. Mögliche Langzeitfolgen sind unerforscht. Schließlich sind diese Derivate de facto nur legal, weil sie neu sind.
"Das Problem an den Derivaten ist, dass manche Menschen glauben: Wenn das legal ist, wird auch geprüft, ob es schädlich ist." So ist es aber nicht, sagt Augustine Reppe von Vista. Schließlich werden Forschungschemikalien grundsätzlich nicht auf ihre Verträglichkeit für Menschen getestet. "Eigentlich wäre es besser, bei der Grundsubstanz LSD zu bleiben und einen legalen, nicht-repressiven Umgang damit zu finden."
Wieso steht LSD überhaupt im Betäubungsmittelgesetz?
Die Gründe für das Verbot von LSD sind vor allem in seiner Geschichte zu finden.
Bereits kurz nach seiner Beschreibung fanden haarsträubende Experimente mit dem psychedlischen Stoff an Menschen statt. Es gibt Hinweise darauf, dass es vor Ende des Zweiten Weltkriegs im Konzentrationslager Dachau Insassen verabreicht wurde. Später führte der US-Geheimdienst heimlich Experimente durch. Manche Versuchspersonen wussten dabei gar nicht, dass ihnen etwas verabreicht wurde. Für einige von ihnen endete das fatal. Erst Jahre später gerieten Details dieser geheimen Experimente an die Öffentlichkeit.
Parallel wurde LSD zur Partydroge der Hippie-Bewegung. Jefferson Airplane, The Beatles, Jimi Hendrix – die Liste der Künstler, die ihre psychedelischen Erfahrungen in veritable Welthits verwandelt haben, ist derart lang, dass sich damit ganze Tage im Radioprogramm füllen lassen [radioeins.de].
Diese Glorifizierung des Rauschs und der zunehmende Missbrauch lösten eine Gegenbewegung aus, die den ausufernden Hedonismus beenden wollte. 1971 einigten sich die Mitglieder der Vereinten Nationen auf ein weltweites Verbot. Hätte es diesen stark kulturell geprägten Konflikt so nicht gegeben, würde heute möglicherweise das Arzneimittelgesetz den Umgang mit LSD regeln. Denn schon damals galt die Substanz als vielversprechende Behandlungsoption bei einigen psychischen Leiden.
Es könnte mit jedem Verbotszyklus vorbei sein
"Es gibt Menschen, die berichten nach einem LSD-Rausch von spirituellen Erfahrungen", so Augustine Reppe. "Oder sie erleben Synästhesie, die Fähigkeit Musik in Farben zu sehen", sagt sie. "Studien haben gezeigt, dass unter LSD-Einfluss Gehirnareale miteinander kommunizieren, die das sonst nicht tun."
Insbesondere diese Eigenschaft macht psychedelische Substanzen wie LSD für die Medizinforschung so interessant.
Die psychedelische Renaissance
Dimitris Repantis leitet eine Forschungsgruppe zu psychedelischen Substanzen an der Charité. "In der Behandlung psychischer Krankheiten haben wir heutzutage eine Reihe therapeutischer Möglichkeiten. Aber es gibt einen kleinen Anteil von Menschen, der davon nicht profitieren kann", sagt er. In solchen Fällen erweisen sich zugelassene Medikamente als wenig wirksam oder Patient:innen kämen mit Nebenwirkungen nicht gut zurecht.
Die Forschung habe bei einigen psychologischen Störungen eine Sackgasse erreicht, sagt Repantis. "Wir haben viel zu wenige Innovationen in der Pharmalogie gesehen in den vergangenen Jahren. Deshalb gibt es ein großes Interesse daran, Aspekte zu untersuchen, die bisher nicht ausreichend erforscht wurden." In den Neunziger Jahren hat eine regelrechte Renaissance in der Forschung psychoaktiver Substanzen eingesetzt.
Aktuell wird an der Charité untersucht, ob Psilocybin Menschen helfen kann, die unter einer Depression leiden, und bei denen mindestens zwei zugelassene antidepressive Medikamente keinen Erfolg gebracht haben. Die Erkrankung ist bei ihnen behandlungsresistent.

Psilocybin kommt natürlich in bestimmten Pilzarten vor. "Magic Mushrooms" sagen manche dazu. Seine Wirkung wird ähnlich wie die von LSD beschrieben. Allerdings hält sie nicht so lange an und verläuft meist weniger intensiv. In der Forschung mit psychedelischen Substanzen wird aktuell meist Psilocybin verwendet, das ebenfalls unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Studien dazu müssen deshalb vom Bundesinstitut für Arzeneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) genehmigt werden.
"Das wird in der Wissenschaft sehr, sehr kontrovers diskutiert"
Zwischenergebnisse aus der Studie möchte Dimitris Repantis noch nicht bekanntgeben. Eine Vorläuferstudie, auf der nun aufgebaut werden konnte, sei vielversprechend verlaufen, sagt er, und habe "gut brauchbare Ergebnisse gezeigt". Er verweist auch auf eine Vielzahl an Studien in der Richtung, die derzeit weltweit stattfinden.
In der Schweiz und in Australien ist es bereits möglich, dass Psilocybin-Präparate unter bestimmten Voraussetzungen verschrieben werden dürfen. "Das ist nicht gleichzusetzen mit einer allgemeinen Zulassung", betont Repantis. "Aber es ist eine interessante Entwicklung. Wir arbeiten mit denselben Daten wie sie die Kollegen in Australien haben." Nur wurden dort Nutzen und Risiko einer Behandlung bereits anders bewertet.
Inwieweit die psychedelischen, subjektiven Effekte zum Erfolg einer Therapie beitragen, ist bislang noch unklar. "Das wird in der Wissenschaft sehr, sehr kontrovers diskutiert", sagt Dimitris Repantis. "Fakt ist: Es gibt Studien, die eine Korrelation zwischen solchen subjektiven Erfahrungen und einer Besserung von Symptomen gesehen haben." Andererseits werde auch an Medikamenten geforscht, bei denen diese Wirkung unterdrückt ist. "Hier steht die Forschung noch am Anfang."
Produktionsprobleme
Ob – und falls ja wann – Medikamente, die auf Psilocybin basieren, einmal in Deutschland zugelassen und verschrieben werden können, ist derzeit nicht abzusehen. Wie lange der Handel mit LSD-Derivaten noch möglich sein wird, ist ebenfalls offen. Das Geschäft werde nicht einfacher, sagt der Berliner Händler Daniel Becker.

Daniel Becker, LSD-Derivate-Händler
Es gebe viele Auflagen und Misstrauen von Behörden. Auch von Geldinstituten, Zahlungsdienstleistern oder Social-Media-Plattformen kämen Fragen. "Oftmals gibt es die Sorge vor Reputationsschäden", so Becker. Ende vergangenen Jahres stellte der niederländische Lieferant den Betrieb ein. Aktuell wird ausschließlich bereits produzierte Ware abverkauft. "Wir suchen nach Wegen, um auch über ein Verbot von 1S-LSD hinaus Derivate anbieten zu können."
Erst wenn ein Derivat im Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz aufgenommen wurde, könne an einem neuen gearbeitet werden. Da es ganze Stoffgruppen verbieten kann, ist vorher nicht klar, welche Varianten noch erlaubt sind. "Da bleiben immer Unbekannte und es könnte mit jedem Verbotszyklus vorbei sein."
Leiden Sie oder Personen in Ihrem Umfeld unter dem Konsum von Rausch- oder Suchtmitteln? Haben Sie Fragen zu bestimmten legalen oder illegalen Substanzen? Sind Sie auf der Suche nach Hilfsangeboten? Folgende Stellen in Berlin und Brandenburg bieten weitergehende Informationen:
- Landesstelle Berlin für Suchtfragen [landesstelle-berlin.de]
- Brandenburgische Landesstellen für Suchtfragen [blsev.de]
- Caritasverband für das Erzbistum Berlin [caritas-berlin.de]
- Drugchecking Berlin [drugchecking.berlin]
Weiterführende Literatur:
- "Der große Rausch - Warum Drogen kriminalisiert werden", Helena Barop, 2023
- "Der stärkste Stoff - psychedelische Drogen", Norman Ohler, 2023
- "Psychedelika - Praxis, Therapie, Wissenschaft", Rick Strassman, 2022