
Berlin Ist die Berliner U-Bahn der Zukunft fahrerlos?
Weniger Wartezeit, weniger Verspätungen, weniger Störungen: Das könnten vollautomatische U-Bahnen ermöglichen, also Züge ohne Fahrer:innen. Warum gibt es sie dann in Berlin noch nicht? Von Klaas-Wilhelm Brandenburg
Am Anfang ist es nur ein leichter Luftzug, dann surren die Gleise – erst leise, dann immer lauter – bis die U-Bahn schließlich in den Bahnhof rauscht. Doch durch die Frontscheibe guckt kein Fahrer, sondern Fahrgäste: Denn die Szene spielt nicht in Berlin, sondern im bayerischen Nürnberg – und dort fährt die U-Bahn vollautomatisch.
Und das ziemlich zuverlässig: Im vergangenen Jahr war sie zu mehr als 99 Prozent pünktlich. In Berlin dagegen gibt es kaum einen Tag ohne Verspätungen, Zugausfälle und genervte Fahrgäste. Wie rbb|24 auf Anfrage von der BVG erfuhr, ist im vergangenen Jahr mehr als jede 17. U-Bahn ausgefallen. Und die Züge, die nicht ausfielen, waren nur zu 98,3 Prozent pünktlich – so schlecht waren beide Werte seit fünf Jahren nicht. Dabei fahren die Züge seit September auf vielen Linien schon seltener.

Fahrerlose Bahnen "auf mittlere und lange Sicht billiger"
Die Unterschiede zwischen beiden Städten liegen nicht nur am Fahrpersonal. Berlins Wagenpark ist veraltet, Werkstätten sind überlastet, die Infrastruktur ist teils marode. Zudem nennt die BVG schon in ihrem Geschäftsbericht 2023 den Fach- und Arbeitskräftemangel sowie hohe Krankenstände als Gründe für Ausfälle. Wäre also ein fahrerloser Betrieb die Lösung?
Davon ist Professor Markus Hecht überzeugt. Der Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr der Technischen Universität Berlin sitzt auch im BVG-Aufsichtsrat, betont aber, hier nicht für den Aufsichtsrat zu sprechen. Er sagt: "Vollautomatische, also fahrerlose U-Bahn-Systeme sind auf mittlere und lange Sicht billiger." Und das nicht nur wegen der gesparten Personalkosten. Sie verbrauchen auch weniger Energie, weil sie effizient beschleunigen, um pünktlich anzukommen.

Weltweit sind U-Bahnen schon fahrerlos unterwegs
Weitere Vorteile für die Fahrgäste: Die Technik ermöglicht einen kürzeren Abstand zwischen den Zügen und flexiblen Einsatz bei Fahrgastandrang: Dann können zusätzliche Züge auf die Strecke geschickt werden. Und es könnten Fahrzeuge eingespart werden, da das Wenden an den Endbahnhöfen durch die Automatisierung deutlich schneller gehe.
Klingt zu gut, um wahr zu sein? Tatsächlich gibt es fahrerlose U-Bahnen schon seit mehr als 40 Jahren, mittlerweile in mehr als 60 Städten weltweit: in Paris und Kopenhagen, Kuala Lumpur und Vancouver. In Nürnberg eröffnete 2008 die neu gebaute U3 als erste fahrerlose U-Bahn-Linie Deutschlands. Es sollte nicht der einzige Rekord bleiben, den die bayerische Großstadt aufstellt: 2010 wurde die U2 als erste Linie der Welt auf den fahrerlosen Betrieb umgestellt, ohne dass die Linie jemals dafür unterbrochen werden musste.

Eine fahrerlose U-Bahn auf der Linie U3 in Nürnberg
Nach 12 Jahren waren die Kosten wieder drin
Ein Grund für die Umstellung: U2 und U3 teilen sich in der Nürnberger Innenstadt einen Streckenabschnitt, dort fahren sie während der Stoßzeiten alle 100 Sekunden. "Ohne ein automatisiertes System wäre so ein kurzer Abstand zwischen den Zügen nicht möglich gewesen", erzählt Oliver Früh von der Nürnberger Verkehrs-AG, die die U-Bahn-Linien dort betreibt. U-Bahnen mit Fahrer:innen schafften nur einen 180-Sekunden-Takt, also eine Bahn alle drei Minuten.
Das alles hat seinen Preis: Insgesamt 110 Millionen Euro kostete die Technik für den fahrerlosen Betrieb auf U2 und U3, und 140 Millionen Euro die 32 neuen Fahrzeuge - die hätte es laut Früh für die U3 allerdings so oder so gebraucht. Nach zwölf Jahren waren die Kosten wieder drin.

Morgendlicher Berufs- und Schülerverkehr am Nürnberger Hauptbahnhof.
Wenn es voll wird, stößt die Automatik an ihre Grenzen
Zudem spart man sich rund 100 Fahrerstellen – ohne Kündigungen. Ehemalige Fahrer:innen arbeiten nun als Servicekräfte oder fahren auf der noch bemannten U1. Sie greifen bei Störungen ein oder helfen bei hohem Fahrgastaufkommen – denn da stößt die automatische Technik an Grenzen.
Mehr Service, weniger laufende Kosten, und das alles ohne Entlassungen – wäre das nicht auch ein Modell für Berlin? "Konkrete Planungen für einen komplett fahrerlosen Betrieb auf bereits vorhandenen Strecken gibt es aktuell nicht", sagt Markus Falkner, Sprecher der BVG. Genauso ist es übrigens bei der S-Bahn, nach der U-Bahn das zweitwichtigste Verkehrsmittel in Berlin.

U-Bahnhof Brandenburger Tor Berlin
BVG will nur Teil-Automatisierung
Bei der BVG soll aber auch nicht alles beim Alten bleiben: Sie will 2029 auf der U5 und 2032 auf der U8 einen halbautomatischen Betrieb starten: Die Fahrer:innen bleiben an Bord, sind aber nur noch für das Öffnen und Schließen der Türen, die Freigabe zum Losfahren und die Kontrolle des Systems und der Strecke verantwortlich. Das Fahren selbst übernimmt die Automatik.
Schon das bringt Vorteile wie geringeren Energieverbrauch und dichteren Takt. Doch es kostet: Laut Siemens Mobility rund 200 Millionen Euro plus langfristige Wartungsverträge. Diese könnten, sagt Markus Hecht von der TU Berlin, immerhin die Pünktlichkeit verbessern, da externe Firmen oft verbindliche Verfügbarkeiten garantieren.
Fahrgastverband: BVG-Plan "sinnvoll"
Hecht kritisiert allerdings, dass die BVG viel Geld in die Hand nimmt, ohne die Personalsituation zu entspannen: "So gibt man lange Zeit unnötig Geld aus." Der Fahrermangel könne nur durch einen vollautomatischen Betrieb gelöst werden, nicht durch einen teilautomatischen, wie ihn die BVG auf U5 und U8 plant.
Anders sieht das der Berliner Fahrgastverband IGEB: "Ein Umbau zum fahrerlosen Betrieb dauert oft Jahrzehnte", so Sprecher Christian Linow. Darum helfe er weder kurz- noch mittelfristig gegen die Personalprobleme. Stattdessen müssten die Zugsicherungssysteme wie die Signale erneuert werden: "Das mit einer Teil-Automatisierung zu machen, ist sinnvoll."
BVG sieht vor allem Hindernisse
Die BVG verweist auf Hürden, etwa "umfangreiche Umbauten, nicht nur an der Steuerungstechnik, sondern auch an den Bahnhöfen". Hinzu kämen "die Anforderungen des Denkmalschutzes". Mit dem Landesdenkmalamt gab es jedoch noch keinen Kontakt, wie dieses auf rbb|24-Anfrage bestätigt. Auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung, wie sie Nürnberg anstellte, fehlt bislang.
Neue Züge für die Nürnberger U1 sind automatisierungs-fit
Diese Kosten-Nutzen-Rechnung kann übrigens auch ein Grund gegen die Umstellung auf vollautomatischen Betrieb sein – auch das zeigt sich in Nürnberg. Die Stadt hat zuletzt 2012 geprüft, ob sich bei der U1 eine Umstellung auf den vollautomatischen Betrieb lohnen würde. Das damalige Ergebnis: Nein. Zu hoher Aufwand für wenig Fahrgäste.
Damit ist eine mögliche U1-Automatisierung in Nürnberg aber nicht für immer vom Tisch: Die Züge, die gerade neu für die U1 beschafft wurden, sind vorsorglich schon so konstruiert, dass sie für den Einsatz ohne Fahrer:innen umgebaut werden könnten.

U-Bahn-Wagen der Baureihe JK bei Stadler in Berlin
Hamburgs neue U-Bahn wird fahrerlos
In Berlin könnte lediglich die neueste U-Bahn-Baureihe J/JK bei Bedarf dafür ausgerüstet werden – die ist allerdings noch gar nicht in Betrieb. Die ersten Fahrzeuge sollen erst nach den Sommerferien auf der U2 starten, dann noch wie gewohnt mit Fahrer:innen. Immerhin schließt die BVG einen fahrerlosen Betrieb bei Neubauten nicht aus. Pläne für neue Linien gibt es derzeit allerdings keine.
Und so wird Hamburg Berlin wohl überholen: Dort hat im September 2022 der Bau der U5 begonnen. Schon 2029 soll ihr Betrieb auf einem Teilstück starten: Mit Bahnsteigtüren in den Bahnhöfen und einem ungestörten Blick durch die Frontscheibe der Züge für Fahrgäste.