
Berlin Wie der neue Schulleiter die Bergius-Schule in Berlin umkrempelt
In einem Brandbrief hatten Lehrer von der Friedrich-Bergius-Schüler in Friedenau im November von aggressiven Schülern berichtet. Seit Januar hat die Sekundarschule eine neue Leitung. Ein Tag mit dem neuen Schulleiter Engin Çatık. Von Kira Pieper
Montagmorgen, 7:25 Uhr. Engin Çatık schließt den Haupteingang der Friedrich-Bergius-Schule auf. Darauf haben die ersten Schüler bereits gewartet. Sie laufen ins Schulgebäude. Der Schulleiter begrüßt sie mit Namen. Einige Jungs kommen auf ihn zu, geben ihm die Hand, manche umarmen ihn sogar. "Nimmst du bitte die Cappi ab?", sagt er zu einem Schüler. Der Schüler lässt sich nicht zwei Mal bitten.
Seit Ende Januar ist Çatık Schulleiter der Integrierten Sekundarschule in Berlin-Friedenau. Hier werden 400 Jugendliche von Klasse 7 bis 10 unterrichtet. Hier spielten sich Ende 2024 Szenen ab, die der Schule in manchen Medien den Titel "Schlimmste Schule Deutschlands" einbrachte.
Das Kollegium hatte Alarm geschlagen, indem es in einem sieben Seiten langen Brandbrief an die Berliner Schulaufsicht die Probleme der Schule schilderte. Es war die Rede von Lehrern und Schülern, die zuhauf gemobbt werden, gewaltbereiten Schülern, die sich dem Unterricht verweigern. Lehrer, die "zu 65 Prozent mit bürokratischer Erziehung und nur zu 35 Prozent mit faktenorientiertem Unterricht" beschäftigt seien. Ein Hilferuf. Die Bergius-Schule war an ihre Grenzen gekommen.

Der neue Schulleiter der Bergius-Schule in Friedenau, Engin Çatık
Çatık leitete zuletzt die Johanna-Eck-Schule
7:30 Uhr. Die Schulglocke klingelt. Engin Çatık tritt aus dem Schulgebäude auf den Perelsplatz. Nachzügler rennen auf ihn zu. Der 39-Jährige rudert mit den Armen und ruft: "Los, Jungs!" und ergänzt: "Ihr seid schon zu spät. Bitte leise am Klassenraum anklopfen und Entschuldigung sagen."
Es ist nicht sein erster Schulleiter-Job. Vorher war er bereits Direktor der Johanna-Eck-Schule in Tempelhof. Was hat er vorgefunden, als er an die Bergius-Schule kam? "Man hat gemerkt, dass die Kolleginnen und Kollegen ihre Sicherheit verloren hatten", sagt er. "Und wenn man selbst unsicher geworden ist und nicht mehr einschätzen kann, wie die Schüler reagieren, dann spüren Kinder das. Egal an welcher Schule."
Kommunikation: das A und O
Einer dieser Kollegen ist ein 44-jähriger Lehrer. Er kann den Vergleich ziehen zwischen dem Davor und Danach. "Seit dem Schulleiter-Wechsel ist auf jeden Fall mehr Ruhe drin", sagt er. Engin Çatık baue gerade innerschulische Strukturen auf und das sei sehr hilfreich. Allerdings ist dem 44-Jährigen noch wichtig, "eine Lanze für die Schüler zu brechen", wie er sagt. "Die meisten sind eigentlich sehr nette Kinder. Aber es gibt zehn Prozent, die einfach grenzüberschreitend und schwer beschulbar sind und mit ihnen muss man irgendwie umgehen."
Es wird deutlich: Çatık setzt auf Kommunikation. Nicht nur mit Schülern. Auch mit dem Schulleiter der benachbarten Schule suchte Çatık schnell das Gespräch. Um ein Anliegen des Brandbriefs zu lösen: Sportunterricht in einer zweiten Halle. "Der Schulleiter der anderen Schule und ich haben gemeinsam einen Kaffee getrunken. Und nun dürfen wir die Halle an zwei Tagen die Woche nutzen", sagt er.

Kleine Stellschrauben verändern schon
Seit seiner Ankunft hat Çatık weitere kleine Stellschrauben im Schulalltag bereits verändern können: So gibt es nun eine App, auf der der Vertretungsplan einsehbar ist. So können die Schüler bereits zuhause sehen, ob die erste Stunde ausfällt. Vorher kamen sie zuerst in die Schule und sahen dann: Die erste Stunde fällt aus. "Und dann saßen sie natürlich auf dem Perelsplatz rum, waren laut und machten auch mal Quatsch", sagt Çatık.
Zudem ließ der Schulleiter alle Türklinken austauschen. Nun lassen sich die Türen nur noch von innen öffnen. Steht man draußen, muss man klopfen. Eine einfache Erziehungsmaßnahme: Zuspätkommer können nun nicht mehr einfach ins Klassenzimmer spazieren. Ebenfalls neu: eine Willkommensklasse für Geflüchtete, Teilungsunterricht, also Unterricht in kleineren Gruppen. Und die sogenannte Doppelsteckung, also Unterricht mit zwei Lehrkräften im Raum.
Es klingelt zur Pause. Kinder strömen aus den Klassenzimmern. Fünf Minuten haben sie, um den Raum zu wechseln. Die Stimmen hallen durch das alte Gebäude. Hier soll demnächst eine weitere Änderung ansetzen: Es werde künftig Doppelstunden geben. Um so die Konzentration der Kinder zu fördern, sagt Çatık.
Schüler: "Çatık ist der beste Mann"
Den Schülern ist es jedenfalls ein Anliegen, immer wieder mitzuteilen, dass "Çatık der beste Mann und der beste Schulleiter" sei. "Sein Wort hat Gewicht", sagt ein Schüler auf dem Schulflur. "Er chillt mit uns auf dem Pausenhof und kümmert sich um uns", sagt ein anderer.
Çatık steht auf dem Schulflur und blickt die hohen Wände empor. Hier hängen Tafeln mit Fotos von Nobelpreisträgern vergangener Zeiten. Vor allem ältere, weiße Männer. Und Fotos bekannter Schulabsolventen und -absolventinnen, wie Egon Bahr oder Hildegard Knef. "Wissen Sie", sagt Çatık, "so eine Ahnentafel ist wichtig und interessant. Aber wichtig ist auch, dass sich Schüler hier wiederentdecken können. 80 bis 85 Prozent der Schülerschaft dieser Schule hat Wurzeln, die außerhalb von Deutschland liegen. Und dann wäre es wichtig, dass im Schulgebäude auch Menschen zu sehen sind, die das verkörpern."

Ist Çatık der Berliner Schulretter?
Es klingelt zur zweiten Stunde. Der Schulleiter muss nun in seinen Unterricht. Ethikunterricht. Hier kommen Schülerinnen und Schüler zusammen, "die sich ansonsten im Unterricht nicht immer an Regeln gehalten haben", sagt der Pädagoge. Sie seien besonders durch ihr destruktives Verhalten aufgefallen. "Sie stehen zum Beispiel ständig auf, laufen durch den Raum, werfen Stifte, rufen rein." Das habe für Unruhe gesorgt. Im Ethikunterricht geht es gerade um Kommunikation und Konfliktlösung. Das Level: nicht besonders hoch. "Diese Jugendlichen muss man erst wieder ans Arbeiten gewöhnen", sagt Çatık. Und während das passiert, ist in den anderen Gruppen ohne destruktive Schüler Ruhe eingekehrt.
Die Schule sei eben für Kinder gemacht, die funktionieren, sagt der Pädagoge. Das gelinge aber nicht jedem. Und diese Schüler fallen dann aus dem System. Es gehe nun darum, sie zu empowern. "Ihnen zu zeigen. Du kannst gute Sachen, aber das schlägt sich eben gerade nicht in deinen Noten wieder." Die Botschaft müsse sein: Wir kriegen das wieder hin, wir geben dich nicht auf.
Die Frage, ob er nun der Berliner Schulretter sei, scheint Engin Çatık jedoch etwas unangenehm zu sein. "Man kriegt so eine Schule nur in die Spur, wenn andere Personen mitmachen. Die Schüler, die Kollegen, die Eltern", sagt er. Dass es vorher Probleme an der Bergius-Schule gegeben habe, habe nicht an einer einzelnen Person gelegen. Ihm sei es nun wichtig, in Kommunikation mit allen an der Schulgemeinschaft beteiligten Personen zu kommen. Und sie zur Partizipation zu animieren. "Für mehr Austausch auf Augenhöhe."
Erweiterte Schulleitung geplant
Das gelte nicht nur für die 45 Lehrenden. Sie sollen demnächst in Jahrgangteams enger zusammenarbeiten und auch an einer erweiterten Schulleitung beteiligt sein. Auch die Schülerschaft bekommt mehr Verantwortung: Mit einem Schülerhaushalt können sie selbstständig über Investitionen an ihrer Schule entscheiden.
Es hat wieder geklingelt. Schulschluss. Die Kinder strömen aus dem Gebäude. Wieder schüttelt Engin Çatık Hände und umarmt die Schüler, die es wollen. Hat er früher auch seinen Schulleiter umarmt? Der 39-Jährige lacht. Nein, habe er nicht, sagt er. Nun mache er es aber. Es mache vieles leichter. Es erlaube, zum einen konsequent und streng, aber gleichzeitig auch einer von ihnen zu sein, sagt er. "Es ist wichtig, dass die Botschaft rausgeht: Wir sind nicht wegen euch da, sondern wir sind für euch da."
Also doch ein Schulretter? Zumindest hat es seit vier Monaten keinen Polizeieinsatz mehr an der Bergius-Schule gegeben. Çatık wehrt sich trotzdem gegen die Bezeichnung. Er habe doch erst das zweite Mal die Schulleiterrolle inne, sagt er. "Diese Zuschreibung, dass ich Schulen rette, ist schon echt sehr optimistisch, weil ich nicht weiß, ob es mir gelingt."
Sendung: rbb24-Explainer, 04.06.2025, 17 Uhr
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