Symbolbild:Die Logos verschiedener ChatGPT-Apps für Künstliche Intelligenz KI auf dem Bildschirm eines Smartphones.(Quelle:imago images/F.Stark)

Berlin KI-Chats im Alltag: "Sie können ChatGPT nutzen wie den Publikumsjoker bei 'Wer wird Millionär'"

Stand: 18.04.2025 16:07 Uhr

Sprachmodelle wie ChatGPT haben die Wahrnehmung von künstlicher Intelligenz im Alltag grundlegend verändert. KI-Forscher Ziawasch Abedjan erklärt, warum die Tools oft überschätzt werden – und wo ihr tatsächlicher Nutzen liegt.

Künstliche Intelligenz hat sich in den vergangenen Jahren vielfach in unseren Alltag geschlichen – in Form von Film- und Musikempfehlungen, automatisierten Textvorschlägen oder als virtuelle Kundenbetreuer. Mit der Verbreitung von Chatbots wie ChatGPT ist KI plötzlich noch präsenter und greifbarer geworden. Was machen die Chatbots mit unserem Alltag? Der KI-Forscher Ziawasch Abedjan vom Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data erklärt, welche Chancen und Risiken mit der KI-Revolution einher gehen.

rbb|24: Herr Abedjan, Sprachmodelle wie Perplexity und ChatGPT haben einen Hype um das Thema KI entfacht. Wie verändert künstliche Intelligenz unseren Alltag?
 
Ziawasch Abedjan: Gute Frage. KI umfasst ja viel mehr als Chats. Sie beginnt bei Systemen, die automatisiert Entscheidungen treffen – etwa anhand äußerer Einflüsse. Dann gibt es Verfahren des überwachten Lernens oder der Vorhersage, zum Beispiel bei Wettermodellen. Das ist alles daten- oder mathematikbasiert.
 
Was wir jetzt erleben, ist ein Paradigmenwechsel: KI arbeitet nicht mehr nur im Hintergrund, sondern tritt in den Vordergrund. Wir sprechen direkt mit Bots, fragen Inhalte ab, KI wird greifbar. Die Nutzerinnen und Nutzer merken jetzt bewusst: "Ich spreche mit einer KI." Dabei haben sie zuvor längst KI genutzt, etwa bei Produktempfehlungen auf Amazon oder Vorschlägen bei Youtube und Spotify.

Wie verwenden Sie als Experte die KI-Chatbots im Alltag?
 
Ich nutze sie bislang eher zurückhaltend. Zum Beispiel, um Vorlagen für Standardbriefe zu erstellen oder Formulierungen zu verbessern. Darüber hinaus habe ich ChatGPT eher explorativ eingesetzt: Wie reagiert das System auf bestimmte Themen? Wird es Informationen zu bestimmten Individuen bereitstellen? Suggeriert es eine politische Meinung? Kann es komplexe Sachverhalte auseinandernehmen? Kann es die Zeilen einer Tabelle zählen?
 
Systeme wie ChatGPT simulieren Wissen und das kann dann dazu führen, dass wir diesen Sprachmodellen eine zu große Autorität zugestehen, dass wir die Antworten als gegebene Tatsachen missinterpretieren.

Illustratorin Sybille Hein sitzt an ihrem Schreibtisch (Quelle: rbb)
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Bekommen Sie das mit, wie KI-Chats zunehmend ein Teil unseres Alltags werden?
 
Ja, unter anderem dadurch, dass Studierende mir inzwischen deutlich besser formulierte E-Mails schreiben. Grundsätzlich gibt es informierte Nutzer, die wissen, dass ein Sprachmodell lediglich Wahrscheinlichkeiten berechnet und so ein Wort nach dem anderen aneinanderreiht, dass es also nicht wirklich weiß, was es sagt. Diese Menschen nutzen KI-Chats nicht für sensible Informationen.
 
Andererseits gibt es Menschen, die davon ausgehen, dass diese Systeme eine Autorität darstellen. Sie glauben, dass hier eine Art von erlerntem und geprüftem Wissen verfügbar gemacht wird. Sogar bei Studierenden beobachte ich, dass sie auf Fragen antworten mit: "Das hat ChatGPT gesagt." Das ist gefährlich, wenn sie nicht nachvollziehen können, wie ein Ergebnis entstanden ist.

KI-Bots suggerieren nie Unsicherheiten bei der Generierung ihrer Antworten. Sie sind sehr selbstbewusste Gesprächspartner bei allem, was sie sagen.

Also würden Sie vor ChatGPT als vermeintliche Wissensquelle warnen?
 
Eine Antwort von ChatGPT auf eine Sachfrage behandle ich, als hätte mir ein Bekannter zwischen Tür und Angel erzählt, was er irgendwo aufgeschnappt hat. Das kann ein Startpunkt für eigene Nachforschung sein. Ich muss aber selbst prüfen, ob es stimmt.
 
Anders gesagt, Sie können ChatGPT nutzen wie den Publikumsjoker bei "Wer wird Millionär". Für schnelle, unverbindliche Einschätzungen ist KI sehr nützlich. Aber wenn ich hinter einer Aussage stehen muss, brauche ich ein kritisches Auge. Denn das Schwierige ist, dass KI-Bots nie Unsicherheiten bei der Generierung ihrer Antworten suggerieren. Sie sind sehr selbstbewusste Gesprächspartner bei allem, was sie sagen.

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KI ist inzwischen auch in Whatsapp integriert. Wie sicher sind unsere Daten, die wir in diese KI-Sprachmodelle eingeben?
 
Vermutlich so sicher wie die Plattformen selbst. Whatsapp gehört zu Facebook – und Facebook hat Rechte an den dort generierten Daten. Die Verschlüsselung wurde verbessert, aber im Kern bleiben die AGB entscheidend. Bisher muss man auch aktiv an den Einstellungen schrauben um etwa zu verhindern, dass Meta AI die eigenen Daten für das Training ihrer KI nutzt. Ich habe mich aber zuletzt nicht genauer mit deren AGBs befasst, da ich Whatsapp, Facebook und Instagram seltener nutze.
 
Im Fall von ChatGPT wird aktuell kommuniziert, dass die eingegebenen Daten nicht weitergegeben werden. Grundsätzlich ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich das einmal ändert.

Verlieren wir durch KI-Chats Fähigkeiten wie Kreativität und eigenständiges Denken?
 
Ehrlich gesagt, ich habe mir diese Frage auch schon gestellt. Entweder wir lernen, mit diesen Tools bewusst umzugehen – oder wir verlernen vielleicht tatsächlich das eigenständige Recherchieren.
 
Man sieht immer wieder, dass Menschen den Chatbots blind vertrauen und auch nicht mehr viel Zeit mit der Suche nach Informationen verbringen wollen. Die Tatsache, dass der Austausch in natürlicher Sprache stattfindet und nicht etwa durch Suchbegriffe, suggeriert, dass die andere Seite vermenschlicht und Dinge weiß.
 
Wovon uns aus meiner Sicht jetzt schon viel verloren gegangen ist und was sich durch ChatGPT womöglich verschärft, sind Geduld und Beharrlichkeit. Früher haben wir Informationen gesucht und uns mit Problemen beschäftigt bis der Lernprozess weh tat. Heute muss alles mit einem Swipe verfügbar sein. Das spart Zeit, aber wir verlieren die Ausdauer, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Wenn dann echte Probleme auftreten, sind wir unter Umständen nicht mehr in der Lage, sie zu lösen.

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Wie wird sich die Nutzung von KI weiterentwickeln?
 
Das ist schwer vorherzusagen. Der Bereich Kundenbetreuung wird schon seit längerem zunehmend automatisiert. Auch die Erstellung virtueller Gesprächspartner ist denkbar. Es gibt Dystopien und es gibt positive Szenarien, die da denkbar sind.
 
Eine wichtige Frage entscheidet sich auch mit dem Urheberrecht. Derzeit kann man nicht nachvollziehen, woher ein Sprachmodell seine Informationen hat. Es gibt viele Hinweise auf Urheberrechtsverletzungen und Unternehmen, die versuchen, diese Verstöße auch nachzuvollziehen. Juristisch ist das aber schwer zu fassen. Wenn wir das Copyright hart auslegen, werden KI-Chats Probleme bekommen – denn gute Daten sind oft urheberrechtlich geschützt und stehen nicht als Kommentare in öffentlichen Foren.
 
Eine andere wichtige Frage wird sein: Wer beeinflusst künftig, wie etwas formuliert wird? Bekommen wir einen Einblick in die Funktionsweisen der KI-Chats? ChatGPT und andere Tools haben das Potenzial, politische Meinungen zu formen oder Märkte zu bewegen. Vor der US-Wahl beispielsweise haben KI-Sprachmodelle sehr zurückhaltend auf bestimmte Fragen reagiert und eine direkte Bewertung bestimmter Politiker und Parteien vermieden. Hätte ich gefragt, ob Kamala Harris intelligenter ist als Donald Trump, hätte mir ChatGPT eine ausweichende Antwort gegeben. Solche Sicherheitsmechanismen könnten sich jederzeit ändern.

Hat künstliche Intelligenz aus Ihrer Sicht das Potenzial die großen Probleme der Menschen zu lösen – dass eines Tages Krebs geheilt wird, dass wir Energie ganz anders Erzeugen?
 
Das hängt von der jeweiligen Anwendung ab. Im vergangenen Jahr ging der Chemie-Nobelpreis bereits an zwei Forscher, die mithilfe von KI-Programmen Proteinstrukturen entschlüsselt mit bestimmten Funktionsweisen vorhersagenhaben. Solche Fortschritte sind natürlich beeindruckend. Aber Chatbots sind eine ganz andere Liga. Mit Aussagen wie "ChatGPT beschleunigt Forschung um das Zehnfache" wäre ich sehr vorsichtig. Da ist oft mehr Wunsch als belastbare Realität dabei.
 
Herr Abedjan, herzlichen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview führte Roberto Jurkschat.