Die Sängerin Shirin David steht auf der Bühne bei einem Konzert (Quelle: dpa/Joerg Carstensen).

Berlin Zwischen feministischem Empowerment und neoliberalen Botschaften

Stand: 25.04.2025 07:23 Uhr

Shirin David ist mit sieben Nummer-1-Hits eine der erfolgreichsten deutschen Musikerinnen. Daneben ist sie auch als Influencerin und Geschäftsfrau mit eigener Beauty-Marke erfolgreich. Ihr Konzert in Berlin war eher unauffällig. Von Jakob Bauer

Kurze Röcke, weite Ausschnitte, enge Hosen – trägt nicht nur Shirin David. Auch viele im ziemlich jungen, größtenteils weiblichen Publikum sind im körperbetonten Partylook in die Berliner Uber-Arena gekommen. Shirin David ist bekannt dafür, sich selbst stark zu sexualisieren. Sie wird immer wieder mit Barbie verglichen und fragt auch an diesem Abend ihre Fans: "Wo sind die Barbies?". Aus tausenden Kehlen schallt es: "hier!".

Die Barbie-Prinzessin mit ironischer Note

Über Shirin David wird gestritten wie über kaum eine andere deutsche Musikerin. Ist sie jetzt feministisch und sagt: Ok, die Welt ist so übersexualisiert, dann breche ich das ironisch und pack' noch eins drauf. Klar habe ich Schönheits-Operationen gemacht, meinen Körper und mein Aussehen brauch ich ja für's Business. Klar rappe ich über Sex und Dominanz, wie das die Männer seit Jahrzehnten machen, nur halt mit den Frauen in der Hauptrolle. Klar bin ich bei jedem Werbedeal dabei, sei es Douglas oder McDonalds, Sichtbarkeit für mich ist alles. Ihr wollt eine Kunstfigur, dann kriegt ihr eine Kunstfigur, und zwar auf zwölf gedreht. Aber ich selbst bestimme über mich, meine Marken, meinen Körper – das ist weibliches Empowerment.

Andere sagen, sie fördere ein unrealistisches Schönheitsideal, ihr Feminismus sei nur Verkaufsstrategie. Auf jeden Fall funktioniert's: Die Barbie-Prinzessin mit ironischer Note im Märchenland ist wohl gerade eine gute Mischung zwischen Eskapismus und ganz realer Selbstermächtigungsbotschaft für viele junge Menschen. Und live?

Die Marke David als Konzert - ziemlich erwartbar

Grundsätzlich ist das eine Show auf der Höhe der Zeit, mit wechselndem Bühnenbild und Kostümen, am Anfang wandelt Shirin im Schulmädchen-Outift passenderweise durch ein Spiegelkabinett, später trägt sie Engels-Flügel, dann nur noch ein durchsichtiges Oberteil.
 
Die Choreographien zu den House- und Trap-Beats der poppigen Club- und Rap-Nummern, über die Shirin rapt und singt, sitzen. Um die zehn Tänzerinnen und Tänzer flankieren die Wahl-Berlinerin, da ist immer Leben und Athletik und natürlich viel Körperbetonung drin. Sie füllen die Bühne aus, müssen sie auch, denn die Musik kommt ausschließlich vom Band, eine Band gibt's nicht. Der Fokus liegt also auf David und ihrer Show, nur: Die ist halt einfach solide, nicht spektakulär, aufregend oder gar provokativ.
 
Es ist einfach alles ziemlich erwartbar, man bekommt die Marke David, wie sie aufgebaut wurde: ein bisschen sexy-time hier, ein paar Empowerment-Botschaften da, es fehlt an Überraschungsmomenten, an Originalität, vielleicht auch an noch mehr sexueller Provokation, noch mehr Künstlichkeit. Was hingegen gut läuft, ist der Kontakt mit dem Publikum, David spricht immer wieder direkt Menschen an, die dann auch auf der Leinwand zu sehen sind. Und das hat dann doch was, wenn diese Kunstfigur so wirklich warmes Interesse an ihren Fans zeigt.

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Stimme bleibt hinter den Beats zurück

Bei ihren Gesprächen mit und zum Publikum tippelt sie aber auch manchmal auf dem schmalen Grat zwischen Selbstermächtigung und hardcore-neoliberalem der-Stärkere-setzt-sich-durch-Denken herum. Mit Tendenz zu Zweiterem. In einer Ansage sagt sie: Wofür ihr lebt und arbeitet und träumt, ist das, was euch definiert. Ihr könnt euch auf niemanden verlassen, ihr müsst euch selbst den Arsch aufreißen und das Wichtigste ist finanzielle Unabhängigkeit – von einem Mann. Hätte sie das mit dem Mann nicht noch als feministische Botschaft hinzugefügt, könnte das direkt aus einem Berlin-Mitte-Startup-Podcast stammen.
 
Solide ist auch die Stimme von David. Sie hält den Rhythmus und die Töne, wenn sie über Fame, Sex und Selbstliebe singt und rappt. Definitiv eine Leistung bei fast zwei Stunden Dauertanz. Aber so richtig Ausstrahlung entwickelt ihre Stimme nicht, da fehlen Flow, Regelmäßigkeit im Klang und vor allem Präsenz. Man versteht eigentlich kaum ein Wort, die Stimme bleibt zurückgezogen hinter den Beats und das ist schon schade, weil sie ja das Einzige ist, was hier musikalisch live ist.
 
Funktionieren tut's trotzdem, das Publikum ist bombensicher beim Mitsingen und kreischt eigentlich zwei Stunden durch. Shirin David bleibt als Kunstfigur auch interessant – dieses Konzert allerdings erstaunlich unspektakulär.

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.04.2025, 9 Uhr