Bundespolizei am Bahnhof in Frankfurt (Oder) 3.3.2022

Brandenburg "Rechtsstaatlicher Boden verlassen": Flüchtlingsrat kritisiert Position des Bundes zu Zurückweisungen scharf

Stand: 03.06.2025 15:32 Uhr

Ein Gericht hat am Montag die Zurückweisung von drei Asylsuchenden für rechtswidrig erklärt. Dass Kanzler und Innenminister dennoch an der Methode festhalten wollen, kritisiert der Brandenburger Flüchtlingsrat scharf: Es werde "willentlich rechtsstaatlicher Boden verlassen".

Der Flüchtlingsrat Brandenburg hat die Haltung der Bundesregierung nach der Gerichtsentscheidung zur Zurückweisung Asylsuchender an der Grenze kritisiert.

Symbolbild: Die Bundespolizei kontrolliert den Einreiseverkehr am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und Slubice am 17.10.2023. (QUelle: picture alliance/dpa/Patrick Pleul)
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Flüchtlingsrat: "Rechtsstaatlicher Boden verlassen"

Es sei beschämend, dass die Bundesregierung sich über Rechtsprechungen und bindende europäische Verordnungen hinwegsetze, teilte der Flüchtlingsrat Brandenburg mit. "Damit werden nicht nur Menschen in unsägliches Leid gestürzt, sondern wird auch willentlich rechtsstaatlicher Boden verlassen." Der Brandenburger Innenminister René Wilke (parteilos) solle sich für ein Ende dieser europarechtswidrigen Praxis an den Brandenburger Grenzen und für Rechtsstaatlichkeit einsetzen.

 
Nach einer gerichtlichen Eilentscheidung ist die Zurückweisung von Asylsuchenden bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet rechtswidrig. Im konkreten Fall ging es um drei Somalier, die von Frankfurt (Oder) aus nach Polen zurückgeschickt wurden.

Merz will an Kontrollen festhalten

Derweil hält Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) an der Zurückweisung Asylsuchender an der Grenze auch nach der Verwaltungsgerichtsentscheidung fest. Die Entscheidung des Berliner Gerichts enge die Spielräume zwar möglicherweise noch einmal etwas ein, sagte der CDU-Chef beim Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin. "Aber die Spielräume sind nach wie vor da. Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können."
 
"Wir werden das selbstverständlich im Rahmen des bestehenden europäischen Rechts tun", sagte Merz. "Aber wir werden es tun, auch um die öffentliche Sicherheit und Ordnung in unserem Lande zu schützen und die Städte und Gemeinden vor Überlastung zu bewahren." Dieser Aufgabe wolle sich die Bundesregierung unverändert stellen. Der Kanzler unterstrich, bis sich die Lage an den europäischen Außengrenzen mit Hilfe von neuen gemeinsamen europäischen Regeln deutlich verbessert habe, "werden wir die Kontrollen an den Binnengrenzen aufrechterhalten müssen".

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Gericht sieht rechtliche Hürden für Dobrindts weitere Pläne

Der Innenminister des Bundes Alexander Dobrindt (CSU) sagte nach der Gerichtsentscheidung, er wolle die Praxis an der Grenze nicht ändern und ein Hauptsache-Verfahren anstreben. Man glaube, dass man dort "deutlich Recht bekommen" werde.

 
Damit steht er aber nach Darstellung des Verwaltungsgerichts Berlins vor einer Reihe juristischer Hürden. Eine Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts in der nächsthöheren Instanz, dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, ist nach dem Gesetz nicht möglich.
 
Das Asylgesetz beinhalte für Rechtsstreitigkeiten in Eilverfahren eine Sonderregelung, erklärte eine Gerichtssprecherin. Demnach ist eine Beschwerde nicht vorgesehen. "Diese Regelung des Bundesgesetzgebers bezweckt die Beschleunigung gerichtlicher Eilverfahren in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz", so die Sprecherin. In Asylverfahren befasse sich ein Gericht daher bereits im Eilverfahren tiefer mit dem Fall.

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In ihrem Beschluss gehen die Berliner Richter also davon aus, dass das Ziel der Klage regelmäßig bereits mit dem Eilverfahren erreicht wird.

 
Im konkreten Fall ging es um zwei Männer und eine Frau aus Somalia, die von Frankfurt (Oder) aus nach Polen zurückgeschickt wurden. Die Frau hatte nach Gerichtsangaben neben dem Eilantrag auch Klage eingereicht. Da sie im Eilverfahren Recht bekommen hat, tritt voraussichtlich eine "Erledigungssituation" ein. Um unnötige Kosten zu sparen, könnte die Klägerin sofort eine sogenannte Erledigungserklärung abgeben. Dem könnte sich das Bundesinnenministerium anschließen - oder aber auch widersprechen.
 
"In dem Fall beschäftigt sich das Gericht aber lediglich mit der Frage, ob der Rechtsstreit erledigt ist oder nicht", erklärte die Sprecherin. Eine weitere inhaltliche Prüfung des Falles erfolge erst, wenn das Gericht zu dem Ergebnis komme, dass dies nicht der Fall sei.

Wilke fordert Rechtssicherheit

Der Brandenburger Innenminister Wilke betonte am Dienstag, die Entscheidung des Gerichts sei "natürlich zu respektieren". Gleichwohl gelte es, den Ausgang des vom Bundesinnenministerium angestrebte Hauptsache-Verfahrens abzuwarten. "Zumal der Bundesinnenminister derzeit von Einzelentscheidungen und einer Fortsetzung der aktuellen Praxis spricht", so Wilke.
 
Das sogenannte Dublin-Zentrum in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) sei auf verschiedene Situationen vorbereitet. Die Einrichtung hat das Ziel, Rückführungen von Asylsuchenden ohne Bleiberecht zu beschleunigen. Dabei geht es um Menschen, die ihr Asylverfahren in einem anderen EU-Staat durchlaufen müssen.
 
Noch in der vergangenen Woche hatte Wilke den Weiterbetrieb aufgrund von Kosten und der Auslastung infrage gestellt. Am Dienstag machte er die Zukunft von den Entscheidungen der Gerichte abhängig. "Sollten Zurückweisungen bei Dublin-Fällen weiter möglich sein, würde das Zentrum seinen Zweck verlieren", so der Landesinnenminister. "Sollte die Eilentscheidung auch im Hauptsache-Verfahren Bestand haben, würde es hingegen wachsende Bedeutung bekommen. Angesichts der anstehenden infrastrukturellen Maßnahmen brauchen wir hierfür Rechtssicherheit - möglichst schnell."

Dobrindt hatte am 7. Mai eine Intensivierung der Grenzkontrollen verfügt und angeordnet, künftig auch Asylsuchende an der Grenze zurückzuweisen - allerdings mit Ausnahmen, etwa für Kinder und Schwangere.

Sendung: Antenne Brandenburg, 03.06.2025, 12:30 Uhr