
Selenskyj zu Besuch in Berlin Merz sichert Ukraine umfassenden Beistand zu
Beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Berlin ist auch über Waffenlieferungen diskutiert worden. Während die Ukraine weiter auf "Taurus"-Marschflugkörper hofft, kündigte Kanzler Merz eine andere Form der Hilfe an.
Bei ihrem Treffen in Berlin haben Bundeskanzler Friedrich Merz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über die Lage in der Ukraine und das künftige gemeinsame Vorgehen beraten. Dabei ging es auch um die Lieferung weitreichender Waffen - der viel diskutierten "Taurus"-Marschflugkörper.
Auf die Frage, ob die ukrainische Armee weiter "Taurus" benötige, sagte Selenskyj: "Bezüglich weitreichender Waffen, die Deutschland herstellt oder auch andere Länder herstellen - natürlich brauchen wir das, natürlich werden wir dieses Thema diskutieren."
Insgesamt verlief das Gespräch nach Darstellung beider Politiker konstruktiv und vertrauensvoll. Merz fasste die Gesprächsinhalte anschließend in fünf Punkten zusammen: Erstens seien sich die Ukraine und Deutschland seit dem russischen Überfall näher gekommen. "Das wollen wir weiter ausbauen", so Merz. Er kündigte für Ende des Jahres deutsch-ukrainische Regierungskonsultationen an, die es viele Jahre lang nicht gegeben habe.
Wirtschaftliche Kooperation mit Blick auf Nachkriegszeit
Zweitens betonte Merz, der Krieg dürfe nicht alles überschatten. "Deshalb denken wir gemeinsam voraus in eine Zukunft jenseits des Krieges." Es seien Gespräche mit Vertretern der Wirtschaft über Zukunftschancen geplant. "Das Potenzial für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit ist da, die Themen liegen auf der Hand: Energie, Infrastruktur, Bau, Landwirtschaft, Maschinenbau, Medizintechnik, viele weiter Branchen. Wir wollen dieses Potenzial gemeinsam erschließen."
Mit Blick auf die diplomatischen Bemühungen der Ukraine und des Westens um eine Waffenruhe sagte der Kanzler drittens, Selenskyj habe sehr klar gemacht, dass niemand den Frieden mehr wolle als die Ukraine. "Die Ukraine ist bereit, im nächsten Schritt technische Gespräche mit Russland zu führen, ganz gleich an welchem Ort - sei es im Vatikan, in Genf oder an jedem beliebigen dritten Ort. Wir Europäer sind bereit, diese Gespräche zu unterstützen." Russland hingegen spiele auf Zeit: "Das Positionspapier für Verhandlungen, das Präsident Putin vor über einer Woche zugesagt hat, lässt bis heute auf sich warten."
Merz kündigt Hilfe beim Raketenbau an
Viertens kündigte Merz an, dass Deutschland die militärische Unterstützung fortsetzen und ausbauen werde, damit sich die Ukraine weiter gegen die russische Aggression wehren könne. Hierzu sei die Unterzeichnung eines Abkommens über die Produktion von weitreichenden Waffen in der Ukraine geplant. Es werde keine Reichweitenbeschränkung mehr geben. "Die Ukraine kann sich damit vollumfänglich verteidigen, auch gegen militärische Ziele außerhalb des eigenen Staatsgebiets", so Merz. Dies sei der Beginn einer neuen Form der militärisch-industriellen Zusammenarbeit.
Abschließend und als fünften Punkt resümierte der CDU-Politiker: "Wir wollen, dass die Waffen in der Ukraine schweigen. Wir wollen einen dauerhaften Frieden für die Ukraine, und wir wollen Sicherheit für ganz Europa." Um dies zu erreichen, werde man sich in engstmöglicher Partnerschaft mit den Verbündeten abstimmen.
"Was müssen wir tun, damit das Töten aufhört?"
Selenskyj hob die Bedeutung des kürzlich erfolgten Besuchs von Merz gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Polen und Großbritannien hervor. Ebenso wichtig und detailreich sei das heutige Treffen gewesen. "Deutschland ist einer der führenden Partner für eine Weltordnung, die auf Frieden basiert", so Selenskyj. Regeln müssten erhalten bleiben, damit Menschen am Leben blieben.
"Seit einer Woche wartet die Welt, dass die Russen die Absichtserklärung endlich abgeben. Was müssen wir tun, damit das Töten aufhört?", fragte Selenskyj. Er betonte, auf Russland müsse der stärkste Druck, der möglich sei, ausgeübt werden, damit der Kreml seinen Wunsch aufgebe, Menschen zu töten.
Besuch mitten in neuer "Taurus"-Debatte
Selenskyjs Besuch in Deutschland findet inmitten einer durch Merz neu angefachten Debatte über eine Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern durch Deutschland an Kiew statt. Merz hatte schon Anfang der Woche mit der Aussage, es gebe "keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr" für an die Ukraine gelieferte Waffen, der Diskussion neues Futter gegeben. Der Kanzler verwies in seiner Aussage auf entsprechende Absprachen mit europäischen Verbündeten und den USA.
"Taurus"-Marschflugkörper können mehr als 500 Kilometer weit fliegen. Bereits vor seinem Amtsantritt hatte sich Merz klar für eine "Taurus"-Lieferung an die Ukraine ausgesprochen.
Unklare Lage im Nordosten der Ukraine
Derweil droht die Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg noch stärker unter Druck zu geraten. Das russische Militär habe im Nordosten der Ukraine etwa 50.000 Soldaten zusammengezogen und bereite offenbar eine neue Offensive vor, hatte Selenskyj zuletzt gewarnt. Dabei äußerte er die Vermutung, Russland könne mit einem Vorstoß in Sumy versuchen, eine Pufferzone entlang der Grenze zu schaffen.
Pläne dieser Art hatte kürzlich Russlands Präsident Wladimir Putin angedeutet. Gegenüber der ukrainischen Region Sumy liegt auf russischer Seite der Grenze die Oblast Kursk. Hier hatte die Ukraine im vergangenen August eine Offensive gestartet. Der Kreml behauptet, die Region sei vollständig zurückerobert worden, was die Ukraine bestreitet.

Karte der Ukraine und Russlands, hell schraffiert: von Russland besetzte Gebiete