Hans Krebs vor dem Haus Schulenburgring 2 in Berlin. (Archivbild: 1. Mai 1945)

Ende des NS-Regimes "Berlin hatte eine besondere Bedeutung"

Stand: 02.05.2025 07:26 Uhr

Der Untergang des "Dritten Reichs" wurde in Berlin besiegelt. In dem Haus, in dem die Kapitulation am 2. Mai 1945 unterschrieben wurde, wird die Erinnerung daran bis heute wachgehalten.

Von Anke Hahn, rbb, Andrea Marshall

Im Schulenburgring 2 in Berlin-Tempelhof wird die Erinnerung an die Ereignisse vor 80 Jahren lebendig gehalten. Die Hausgemeinschaft feiert alljährlich mit Musik und Kulturprogramm - zusätzlich zu den offiziellen Kranzniederlegungen.

Immer dabei: Michael Müller, Regierender Bürgermeister a.D. und früher selbst Teil der Hausgemeinschaft. Seine Familie zog 1962 hier ein, Michael Müller verbrachte seine Kindheit und Jugend hier. 

Heute erinnert eine Gedenktafel an der Hausfassade an die Ereignisse. Zum 80. Jahrestag der Unterzeichnung wird neben Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner auch wieder sein Vorgänger Michael Müller vor dem Gebäude einen Kranz ablegen.

Offizielle ausländische Gäste sind in diesem Jahr ausdrücklich nicht eingeladen. Es soll verhindert werden, dass eine russische oder belarusische Delegation die Gelegenheit zu Kriegspropaganda nutzen könnte. Es soll einzig um die Erinnerung an die Zeit vor 80 Jahren gehen.

Moskauer Militärs im Erdgeschoss

Berlin war ein einziges Trümmerfeld, als der Mai 1945 anbrach. Gerade war die erbitterte Schlacht um Berlin mit mehr als 55.000 toten Zivilisten und vermutlich mehreren Hunderttausend toten Soldaten auf beiden Seiten zu Ende gegangen.

Adolf Hitler nahm sich am 30. April das Leben, am selben Tag wehte auf der Ruine des Reichstags die Sowjetfahne. Die Rote Armee hatte die Stadt aus allen Himmelsrichtungen in die Zange genommen.

Im Schulenburgring 2 musste die Hausbesitzerin Anni Goebels ihre Wohnung im Erdgeschoss räumen. In dem herrschaftlichen Gründerzeitbau waren am 27. April hohe Militärs aus Moskau eingezogen: der Stab der 8. Gardearmee unter Wassili Tschuikow.

Die Privaträume der Hauswirtin dienten jetzt einige Tage lang als Kommandozentrale der sowjetischen Militärführung in Berlin. Der Altbau befindet sich in der Nähe des Tempelhofer Flughafens, der als letzter Fluchtweg galt.

Neun Stunden Waffenstillstandsverhandlungen

Der 1. Mai 1945 war ein Dienstag. Nach den Selbstmorden der Nazi-Führung zeichnete sich jetzt das endgültige Kriegsende ab. Im Schulenburgring 2 herrschte ab 4 Uhr am Morgen hektische Betriebsamkeit.

General Hans Krebs sollte mit den Sowjets einen Waffenstillstand aushandeln. Neun Stunden dauerten die Verhandlungen - und scheitern. Die Alliierten bestanden auf der bedingungslosen Kapitulation. Dazu waren die Nationalsozialisten aber noch nicht bereit.

Der Historiker Peter Lieb vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr erklärt das so: "Berlin als Reichshauptstadt hatte eine besondere Bedeutung für die verbliebene Führung des Dritten Reiches." Zwar hätte es vorher schon diverse Kapitulationen von Heeresgruppen in anderen Gegenden des Landes gegeben, doch Berlin sei ein Symbol gewesen. "Die Stadt sollte gehalten werden bis zum Schluss."

Ein weiterer deutscher Unterhändler

Am Abend des 1. Mais machte sich allgemeine Erschöpfung breit - vielleicht auch, weil die Soldaten der Roten Armee im zerbombten Berlin ausgiebig den "Tag der internationalen Arbeitersolidarität" feierten, wie der "Spiegel" später schreibt. Zu einem letzten Sturmangriff auf die Deutschen kam es nicht. "Wir stürmen nicht mehr, wir kriechen", beklagte ein General.

Aber zum Schlafen kamen die Militärs im Schulenburgring auch in dieser Nacht nicht. Es wurde hin und her telefoniert. Um 2 Uhr früh am 2. Mai kündigte sich ein weiterer deutscher Unterhändler an. Der vorherige, General Krebs, hatte Selbstmord begangen.

"Der Führer hat uns im Stich gelassen"

Am Vormittag erreichte General Helmuth Weidling den Schulenburgring. Wieder ging es um Formulierungen. Man einigte sich schließlich auf den ersten Satz: "Am 30.4.45 hat sich der Führer selbst entleibt und damit uns, die wir ihm die Treue geschworen hatten, im Stich gelassen."

Es folgte die Einsicht: "Jeder, der jetzt noch im Kampf um Berlin fällt, bringt seine Opfer umsonst." Dann die Konsequenz: "An die Soldaten der Berliner Garnison ergeht die Aufforderung, sofort die Waffen niederzulegen."

Für Peter Lieb ist diese Formulierung klug gewählt. Zum einen hatte die NS-Propaganda zunächst verbreitet, Hitler sein "im Kampf gefallen". Diese Lüge wurde so korrigiert. Dazu kam nun ein anderer Aspekt: Die deutschen Soldaten hätten ihren Eid auf den Führer geschworen. Da dieser nun durch seinen Selbstmord gewissermaßen selbst desertiert sei, wäre es auch keine Straftat mehr, wenn sie sich nun ergeben. Zudem hätten sie auch die moralische Legitimation, nicht bis zum letzten Blutstropfen kämpfen zu müssen, wie es Hitler eigentlich von ihnen verlangt hatte.

Unterzeichnung auf dem Wohnzimmertisch

Die Kapitulationsurkunde tippte der Berliner Jude und Kommunist Stefan Doernberg auf seiner Reiseschreibmaschine ab. Er war für die Rote Armee auch als Dolmetscher an den Verhandlungen um die Kapitulation der Nazi-Wehrmacht beteiligt. Später erlangte er als Historiker in der DDR große Bekanntheit. Seine Vorlage unterzeichneten General Weidling und Generaloberst Tschuikow dann auf dem Wohnzimmertisch im Erdgeschoss des Schulenburgring 2. 

Lautsprecherwagen fuhren durch die Straßen, die Kapitulationserklärung wurde verlesen. Auch der Protokollant der Verhandlungen, der Dichter Jewgenij Dolmatowski, berichtete öffentlich am Brandenburger Tor von den Ereignissen. Danach entstand ein berühmtes Foto des russischen Fotografen Jewegenij Chaldej. Es zeigte Dolmatowski lachend mit einer Hitlerbüste unter dem Arm. Für ihn war der Krieg jetzt zu Ende.

Jewgeni Dolmatowski besuchte das Haus Schulenburgring 2 ab 1975  noch häufiger. Es entstand eine Freundschaft mit der Hausbesitzerin Anni Goebels, und die erzählte den Nachbarn davon. So bleibt die Erinnerung an das historische Ereignis hier lebendig. Der Vater von Michael Müller, Drucker und Sozialdemokrat, war bis zu seinem Tod 2015 Teil der engagierten Hausgemeinschaft.

Erst kapituliert Berlin, dann Deutschland

Von der stammt auch der Text auf der Gedenktafel am Haus. Die Anwohner hatten zusammen mit dem Historiker Stefan Doernberg gegen den Text der ersten offiziellen Tafel protestiert. Dort hieß es :"In diesem Haus wurde der Waffenstillstand am 2. Mai 1945 unterzeichnet." Ihnen aber war wichtig, dass hier das Ende der Kampfhandlungen besiegelt wurde - nicht nur ein Waffenstillstand. Damit war der Krieg für Berlin offiziell beendet.

Für Historiker Peter Lieb war die Kapitulation Berlins der wichtigste Schritt hin zum tatsächlichen Kriegsende. Auch die wenigen noch relativ intakten Heereseinheiten der Wehrmacht hätten so das Signal bekommen: Es ist vorbei. Auch wenn an einigen wenigen Orten noch gekämpft wurde. Für Gesamtdeutschland wurde die bedingungslose Kapitulation sechs Tage später, am 8. Mai, in Berlin-Karlshorst besiegelt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 30. April 2025 um 12:13 Uhr.