Geflüchtete bei der Arbeit in der Eisproduktion der Berliner Manufaktur Florida-Eis. Berlin, 01.07.2024

Brandenburg Berlin Interview | Jobturbo-Expertin: "Integration durch Arbeit funktioniert erst ab einem gewissen Sprachlevel"

Stand: 24.04.2025 14:12 Uhr

Wie Integration über den Arbeitsplatz gelingen kann, diskutieren derzeit die Integrationsminister in Göttingen. Ein Modell gibt es seit 2023: den "Jobturbo" für Geflüchtete, die Bürgergeld beziehen. Praktiker wie Birgit Gericke sehen das kritisch.

rbb|24: Frau Gericke, die Idee des Jobturbos ist es, Menschen auch ohne fundierte Deutschkenntnisse schnell in Arbeit zu bringen. Die noch amtierende Bundesregierung argumentiert, Arbeit sei der Schlüssel für gelungene Integration. Hat sie recht?
 
Birgit Gericke: Wenn der Jobturbo darauf ausgelegt ist, Menschen zügig in Arbeit zu bringen, dann kann er durchaus sinnvoll sein. Aber im Moment hat er sehr viele negative Folgen. Das Problem ist der Spracherwerb. Am Ende ihres Integrationskurses haben die Menschen in der Regel zunächst ein Sprachniveau, mit dem sie keine Ausbildung beginnen können und ihnen nur einfache Jobs angeboten werden. Das geschieht dann aber mit sehr viel Druck, auch wenn sie fachlich höher qualifiziert sind. Man versucht so, die Zahlen bei der Integration in den Arbeitsmarkt kurzfristig gut aussehen zu lassen. Das Problem ist, dass diese Integration nicht nachhaltig ist.

Warum? Die Idee des Jobturbos ist doch, dass die Leute bei der Arbeit ihre Deutschkenntnisse ausbauen und sich durch die Arbeit mit Kollegen besser integrieren.
 
Das haben wir schon mal durchgespielt in den 60-er und 70-er Jahren in der alten Bundesrepublik. Damals nannte man die Menschen noch Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Heute redet man von so genannten Parallelgesellschaften, wo eine Elterngeneration die deutsche Sprache nie richtig gelernt hat und Kinder jahrelang bei Behördengängen dolmetschen mussten. Da lebt auch die zweite oder dritte Generation teilweise noch in völlig anderen sozialen Verhältnissen, weil Integration und ein soziales und kulturelles Miteinander so kaum möglich waren.

Aber gibt es heute nicht eine viel größere Offenheit in Unternehmen, die händeringend Arbeitskräfte suchen?
 
Nicht unbedingt. Häufig ist es so, dass gerade im Billiglohnsektor Personen wieder in ihrer eigenen Sprach-Community landen. Da wird nicht Deutsch gelernt, sondern man bleibt in der eigenen Sprache. Dort gibt es dann auch wenig Austausch mit den anderen Kolleginnen und Kollegen. Integration in Kultur und Gesellschaft werden vernachlässigt. Integration durch Arbeit funktioniert erst ab einem gewissen Sprachlevel. Auch für manche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ist das frustrierend, weil ohne ausreichende Sprachkenntnisse die Arbeit nicht gut gemacht werden kann. Oder wenn Vorschriften zum Arbeitsschutz oder Krankschreibungen nicht verstanden werden.

Es gibt mittlerweile allerdings auch Unternehmen, die die Integration selbst in die Hand nehmen und zum Beispiel Sprachkurse organisieren.
 
Das kann ein Puzzlestück sein. Gerade in größeren Städten und größeren Betrieben. Es gibt dazu auch ein Format im Rahmen des Jobturbos, die so genannten Job-Berufssprachkurse. Die werden aber momentan kaum umgesetzt. Gerade in ländlichen Gebieten, wo wir kleine und mittelgroße Unternehmen haben, ist das auch kaum umsetzbar. Vielen Unternehmen fehlt dort auch eine gewisse Bereitschaf zur nötigen zeitlichen Flexibilität.

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Was müsste anders laufen?
 
Es braucht zuerst einen guten Integrationskurs und gegebenenfalls die Möglichkeit, Kursinhalte und Prüfung zu wiederholen. Dieses Format der Wiederholerkurse wurde in diesem Frühjahr aber vom BAMF [Anm. d. Red.: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge] gestrichen. Vorhandene Qualifikationen müssen schnell anerkannt werden, auch nicht-formale Qualifikationen. Dann sollte man fragen: Wohin willst du dich entwickeln? Aber auch: Wo brauchen wir dich? Und was braucht es dafür? In der Regel braucht es mehr Deutschkenntnisse. Es spricht nichts dagegen, parallel zu einer Beschäftigung Sprachkurse zu belegen. Da muss es dann aber ein gutes Teilzeitangebot geben. Aber wenn trotzdem mal einer sagt, ich will einfach schnell einen Job und wirtschaftlich unabhängig sein ohne Berufserfahrung, dann ist das auch fein.

Gibt es genügend Integrations- und Sprachkurse in Brandenburg?
 
In diesem Bereich gibt es derzeit starke Einschränkungen und Verunsicherungen. Hier treffen politische Entscheidungen zu Kürzungen und Umstrukturierungen auf die Bildung einer neuen Bundesregierung und einen nicht beschlossenen Bundeshaushalt. Nach derzeitigem Stand fehlen massiv Gelder zur Umsetzung der bewährten und dringend benötigten Integrationskurse. Nach einer Streichung der Hälfte der Gelder wird hier gerade hart nachverhandelt. Andere Kursarten zum Spracherwerb auf höheren Levels wurden teilweise komplett eingefroren, stark reglementiert oder gestrichen. Dazu zählen auch Kurse der berufsbezogenen Deutschförderung. Hier muss dringend nachjustiert werden.

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In Göttingen treffen sich die Integrationsminister, in Berlin formiert sich eine neue Bundesregierung. Hat die Politik das Thema Integration ausreichend im Blick?
 
Was ich problematisch finde, ist der Fokus auf Migration als Problem statt als Möglichkeit, gerade auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. So liegt, nach einer Studie des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) aus dem Oktober 2024, die Erwerbstätigenquote der männlichen Geflüchteten nach sieben Jahren bei 86 Prozent und damit 5 Prozent höher als in der gesamten männlichen Bevölkerung Deutschlands.
 
Wir können geflüchteten Personen nicht einerseits signalisieren, dass wir sie nicht wollen und ihnen unterstellen, nur in unsere Sozialsysteme einwandern zu wollen. Und auf der anderen Seite suchen wir hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland. Der Bevölkerung wird grundlos immer stärker suggeriert, Migration sei ein Problem.

Was würden Sie sich stattdessen wünschen?
 
Für Integration braucht es Offenheit und Vertrauen gegenüber den Menschen. Mit Misstrauen geht es nicht. Neben einer guten sprachlichen Basis für alle, die kommen, braucht es klare Regeln bei der Aufnahme und schnelle juristisch gut begleitete Asylverfahren. Die Leute brauchen Sicherheit und eine Perspektive. Neben der Integration in den Arbeitsmarkt brauchen wir auch soziale Integration. Wir müssen die Chancen der Migration wieder stärker betonen, auch gegenüber der eigenen Bevölkerung. Das schafft eventuell auch wieder ein Klima mit mehr Weltoffenheit.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Andreas Hewel.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 24.04.2025, 19:30 Uhr