
Brandenburg Berlin Wie Museumsbesuche bei Depressionen helfen: Charité erforscht "Soziales Rezept"
Menschen mit psychischen Erkrankungen können von Kulturangeboten profitieren – das zeigen verschiedene Studien. Jetzt wird an der Charité untersucht, ob es in Deutschland Kultur auf Rezept geben sollte. Von Elena Deutscher und Lukas Haas
Burkhard Dirksen ist auf dem Weg in den Hamburger Bahnhof, um dort die Ausstellungen von Semiha Berksoy und Mark Bradford zu sehen. Dirksen ist leidenschaftlicher Museumsgänger. Doch für den 65-Jährigen ist der Museumsbesuch mehr als bloß ein Kunsterlebnis. Es sei für ihn ein wichtiger Anker, der ihm Stabilität gebe. "Ich kann in dem Moment abschalten", sagt er. "Das tut einfach gut."
Vor mehr als 15 Jahren wurde der Berliner Ingenieur durch eine Depression aus der Bahn geworfen. Die Belastung im Beruf, die Sanierung des Hauses - irgendwann sei alles zu viel geworden, sagt er. Es folgten einige dunkle Jahre für ihn. Mittlerweile gehe es ihm durch Therapie und Medikamente wieder besser. Er ist sich aber sicher: Auch die regelmäßigen Museumsbesuche haben sich positiv auf seine Gesundheit ausgewirkt, wie er sagt.

WHO-Metastudie zeigt positiven Effekt
Was Burkhard Dirksen für sich festgestellt hat, zeigt die Wissenschaft immer deutlicher. Eine wachsende Zahl an Studien deutet darauf hin, dass Kunst- und Kulturangebote psychisch kranken Menschen helfen können.
Seit einigen Jahren beschäftigt sich die Weltgesundheitsorganisation WHO mit dem Zusammenhang von Gesundheit mit Kunst und Kultur. Im Jahr 2019 veröffentlichte sie eine Metastudie, die mehr als 3.000 Studien zum Themenkomplex analysierte [kunsttherapie-berlin.de/PDF, englisch]. Die WHO kam zu dem Ergebnis, dass Kunst- und Kulturangebote sowohl die psychische als auch physische Gesundheit positiv beeinflussen können.
Sie sollen unter anderem helfen, Gefühle zu bewältigen, das eigene Leid besser auszudrücken, aber auch schwere Krankheiten zu verarbeiten und den Genesungsprozess zu fördern. Doch: Die WHO weist darauf hin, dass die einbezogenen Studien in Methodik und wissenschaftlichem Herangehen stark variieren.

Museumsbesuch kann depressive Symptome verbessern
Um die Forschungslücke zu füllen, beschäftigen sich auch in Deutschland einige Forscherteams mit der heilenden Wirkung von Kulturangeboten bei psychischen Erkrankungen. An der TU Dresden fanden Forscher jüngst heraus, dass Ausstellungsbesuche dementen Menschen mit einer Depression stark bei ihrem Leiden helfen können [tu-dresden.de/PDF]. So habe sich Lebensqualität, Gesundheitszustand und die körperliche Verfassung durch die Besuche verbessert.
"Die Menschen sind nach dem Museumsbesuch heiterer als davor und wir konnten depressive Symptome senken", sagt Michael Wächter. Er hat die Studie an der TU Dresden geleitet, die im März diesen Jahres erschienen ist. Vor allem der soziale Aspekt der Museumsbesuche habe eine starke Wirkung erzielt, aber auch die Auseinandersetzung mit der Kunst sei nicht irrelevant.
Zusammen mit anderen ins Museum zu gehen, sich darüber auszutauschen, damit eine Struktur im Alltag zu haben, ist eine tolle Möglichkeit die Einsamkeit bei depressiven Menschen anzugehen.
Forderung: Krankenkassen sollen zahlen
Die Ergebnisse sind selbst für die Forschenden überraschend positiv: 34 Prozent der Testpersonen seien wieder häufiger nach draußen gegangen. 37 Prozent sagten sogar, dass sie mehr in der Öffentlichkeit unternehmen. "Das ist ein großer Fortschritt, den wir erreichen konnten", sagt Michale Wächter. "Depressionen sind bei Menschen mit Demenz kaum pharmakologisch therapierbar."
Michael Wächter sieht starke Anzeichen dafür, dass die Ergebnisse sich auch auf nicht-demente Menschen mit Depressionen übertragen lassen. Für ihn ist deshalb klar, dass solche Angebote ins ärztliche Repertoire aufgenommen und von der Krankenkasse übernommen werden sollten.

"Soziales Rezept" wird an der Berliner Charité erforscht
In einigen anderen Ländern ist das bereits der Fall. In Großbritannien wird das sogenannte "Social Prescribing" bereits praktiziert. Dort können Ärzte Patienten an soziale und kulturelle Angebote - wie das Museum - verschreiben. In Kanada, der Schweiz und mehreren skandinavischen Ländern gibt es ähnliche Projekte.
An der Berliner Charité widmet man sich derzeit der Frage, ob solche Rezepte auch in Deutschland eine sinnvolle Ergänzung zu klassischen Therapien sein könnten. Wolfram Herrmann erforscht in zwei Forschungsprojekten die Effektivität und Umsetzbarkeit des sogenannten Sozialen Rezepts [allgemeinmedizin-charite.de]. "Die Idee ist es mit dem Sozialen Rezept die hausärztliche Versorgung zu stärken", sagt der Professor. Häufig kämen Patienten mit Problemen zum Arzt, die sich zwar auf die Gesundheit auswirken, aber nicht mit klassischen medizinischen Therapien behandeln lassen.
Versorgung der Patienten soll verbessert werden
Einsamkeit sei ein gutes Beispiel dafür, denn sie gehe häufig mit Depressionen einher, so Herrmann. In solchen Fällen könne ein Museumsbesuch auf Rezept eine Möglichkeit sein, dem Patienten – zusätzlich zu klassischen Therapien – zu helfen. "Zusammen mit anderen ins Museum zu gehen, sich darüber auszutauschen, damit eine Struktur im Alltag zu haben, ist eine tolle Möglichkeit die Einsamkeit bei depressiven Menschen anzugehen", sagt Herrmann.
Im Forschungsprojekt der Charité werden solche Menschen vom Arzt an sogenannte "Linkworker" vermittelt, die gemeinsam mit dem Patienten nach den richtigen sozialen Angeboten suchen. "Wir erhoffen uns, dass wir so einen Weg finden, die Versorgung der Patienten zu verbessern", sagt Herrmann. Das wird sich aber noch im Laufe des Projekts bestätigen müssen.
Burkhard Dirksen hat auch ohne Vermittlung herausgefunden, dass ihm Museumsbesuche guttun. Er kann allen Betroffenen nur empfehlen ins Museum zu gehen, wie er sagt. "Es ist eine wichtige Sache, was gegen seine Depression zu machen, sich etwas anderes anzuschauen und rauszukommen." Um auf andere Gedanken zu kommen, sei Kunst und Kultur ein tolles Mittel.
Sendung: rbb24 Abendschau, 18.04.2025, 19:30 Uhr