Protestierende in Pakistan
interview

Konflikt zwischen Indien und Pakistan "Die weitere Eskalation ist gefährlich"

Stand: 07.05.2025 17:47 Uhr

Mit den indischen Angriffen auf Ziele in Pakistan spitzt sich der Konflikt zwischen den Ländern zu. Dabei steckt Pakistan jetzt in einer Zwickmühle, erklärt Südasien-Experte Wagner: Denn es bleibe ihm nur übrig, weiter zu eskalieren.

tagesschau.de: Indien hat in der Nacht Ziele in Pakistan angegriffen. Warum spitzt sich der Konflikt zwischen Pakistan und Indien gerade jetzt wieder so stark zu?

Christian Wagner: Die Lage spitzt sich vor allem zu, weil Indien jetzt auf den Terroranschlag im indischen Teil Kaschmirs vor 14 Tagen reagiert. Wir haben ja in der Vergangenheit immer wieder gesehen, dass Indien auf Terrorangriffe militärisch reagiert hat - zum letzten Mal 2019.

Obwohl es in den vergangenen Jahren in der Region Kaschmir vergleichsweise ruhig war, zeigt dies, dass es durch solche Terrorangriffe immer wieder zu einer Eskalation im bilateralen Verhältnis kommen kann.

Dr. habil. Christian Wagner
Zur Person
Christian Wagner ist Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP). Seine Forschungsgebiete umfassen die Region Südasien sowie Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

In dem Konflikt dreht es sich um die Frage, ob die zwischen den beiden Ländern geteilte Region Kaschmir endgültig zu Indien oder zu Pakistan gehören soll. Das zunächst unabhängige Kaschmir ist ja nach der Gründung Indiens der Indischen Union beigetreten, und Neu-Delhi beansprucht daher das gesamte Gebiet Kaschmirs.

Zu diesem Konflikt um Kaschmir gibt es aber auch eine Reihe von UN-Resolutionen. In diesen wird gefordert, dass es unter der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung ein Referendum über die endgültige Zugehörigkeit des Gebietes geben soll, und das ist im Wesentlichen die Position Pakistans.

Worum geht es im Kaschmir-Konflikt?
Die Kaschmir-Region im Himalaya ist zwischen Pakistan und Indien geteilt - beide beanspruchen aber das ganze Gebiet für sich. Die Ursprünge des Konflikts reichen bis in die Kolonialzeit zurück.

1947 entließen die Briten den indischen Subkontinent in die Unabhängigkeit und teilten diesen auf. Aus der Teilung entstand neben dem überwiegend hinduistischen Indien der neue Staat Pakistan für Muslime. Die gewaltvoll verlaufene Teilung nährt bis heute eine erbitterte Rivalität. Seit ihrer Unabhängigkeit führten beide Länder drei Kriege gegeneinander, zwei davon um Kaschmir.

Signal, "dass man künftig hart reagieren wird"

tagesschau.de: Warum eskaliert Indien diesmal so dramatisch?

Wagner: Indien hat schon nach den letzten Terrorangriffen 2016 und 2019 militärisch reagiert. Der Anschlag vor zwei Wochen war der schwerste Anschlag in Indien seit jenem in Mumbai 2008. Indien musste jetzt also stärker eskalieren als zuvor.

Indien hat es unter anderem dadurch getan, dass es Einrichtungen in zwei Städten in der Provinz Punjab angegriffen hat. In beiden Städten werden die Hauptquartiere von islamistischen Terrorgruppen vermutet, etwa von Laschkar-e Taiba. Indien sendet hier das klare Signal, dass es auch künftig bereit ist, diese Terrorgruppen direkt militärisch zu bekämpfen.

tagesschau.de: Gibt es weitere strategische Überlegungen darüber hinaus, seien sie außen- oder innenpolitisch motiviert?

Wagner: Die innenpolitischen Zwänge sind momentan weniger gegeben. Indiens Premier Modi hat derzeit keine wichtigen Wahlen unmittelbar vor sich. Auch andere außenpolitische Faktoren sind hier zweitrangig: Es geht Indien vor allem darum, Pakistan und der internationalen Gemeinschaft gegenüber klar zu signalisieren, dass man künftig auf Terroranschläge hart militärisch reagieren wird. Trotz aller internationaler Vermittlungsbemühungen, die es gibt.

Sind Indiens Vorwürfe gegenüber Pakistan berechtigt?

tagesschau.de: Indien hat nun zwar keine staatlichen pakistanischen Ziele angegriffen, macht Pakistan aber trotzdem für den Anschlag vor zwei Wochen verantwortlich. Ist der Vorwurf berechtigt?

Wagner: Ja, der ist sicherlich berechtigt. Denn wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es bei Anschlägen wie zum Beispiel in Mumbai 2008 Verbindungen zwischen der Terrorgruppe Laschkar-e Taiba und dem pakistanischen Geheimdienst gab.

Und die pakistanische Führung, vor allem der Chef des Generalstabs, General Asim Munir, hat zuletzt deutlich gemacht, dass sie wieder einen deutlich konfrontativeren Kurs gegenüber Indien verfolgt. Munir hat Kaschmir jüngst als Schlagader Pakistans bezeichnet.

Und er hat erklärt, dass Pakistan schon drei Kriege gegen Indien geführt hat und man im Notfall auch zehn Kriege führen würde. Der Kaschmirkonflikt hat in Pakistan eine deutlich höhere Bedeutung als in Indien und ist zentral für die Legitimation des Militärs in Pakistan und seine große machtpolitische Rolle.

Zudem ist denkbar, dass der Terrorangriff in Indien als Vergeltungsaktion auf einen Anschlag in Pakistan gedacht war. Denn Pakistan beschuldigt Indien, separatistische und andere Terrorgruppen in seiner Provinz Balutschistan zu unterstützen. Ob Pakistan aber konkret hinter dem jüngsten Anschlag in Indien steht - darüber kann man nur spekulieren.

"Pakistan kann eigentlich nur Militärziele angreifen"

tagesschau.de: Wie wird Pakistan nun wiederum reagieren?

Wagner: Pakistan wird sicherlich auch militärisch reagieren, hat dies auch schon angekündigt. Aber Pakistan steht bei seiner Reaktion jetzt vor einem großen Problem. Denn Indien hat betont, keine militärischen Einrichtungen Pakistans angegriffen und sich auf die Infrastruktur von terroristischen Gruppen konzentriert zu haben.

Pakistan jedoch kann jetzt eigentlich nur Militärziele in Indien angreifen - andere sinnvolle Ziele für eine Vergeltungsaktion hat Pakistan nicht. Während Indien bislang also kommuniziert hat, nicht eskalieren zu wollen, wäre ein pakistanischer Schlag ein Grund für Indien, weiter stark zu eskalieren.

"Weder Indien noch Pakistan haben Interesse an großem Krieg"

tagesschau.de: Wie gefährlich ist die Situation damit - auch im Vergleich zu vorherigen militärischen Auseinandersetzungen?

Wagner: Die weitere Eskalation ist gefährlich. Die Situation ist auch deshalb schwieriger geworden, weil Indien seine Eskalation weiter vorangetrieben hat, indem es nicht nur ein Ziel, wie zuletzt 2019, militärisch angegriffen hat, sondern verschiedene Ziele: sowohl im pakistanischen Teil Kaschmirs als auch in der pakistanischen Provinz Punjab.

Beide Seiten müssen aber eine gesichtswahrende Lösung finden, um aus dieser Eskalationsspirale rauszukommen. Denn weder Indien noch Pakistan haben ein Interesse an einem großen Krieg. Indien hat einen Großteil seiner Truppen an der chinesischen Grenze stationiert. Denn China ist für Indien strategisch die wirklich zentrale Herausforderung.

Pakistan wiederum befindet sich in einer sehr schlechten wirtschaftlichen Situation und hat auch eine Reihe weiterer interner Probleme - so sehen wir zunehmend Angriffe von pakistanischen Taliban-Gruppen innerhalb Pakistans. Islamabad kann sich daher keinen Waffengang mit Indien leisten.

"Kein Interesse an Lösung des Konflikts"

tagesschau.de: Gibt es ernsthafte Versuche, die Beziehungen zwischen Pakistan und Indien zu befrieden? Bietet sich da jemand als Vermittler an?

Wagner: Eine Vermittlung würde vonseiten Indiens ausgeschlossen werden. Wir hatten eine bilaterale Lösung im Jahr 2007. Damals hat man sich de facto auf die Anerkennung des Status quo verständigt.

Mittlerweile sehe ich aber weder in Indien noch in Pakistan gemäßigte Kräfte, die an einem erneuten Dialog oder an einem Ausgleich oder gar an einer Lösung des Konflikts ein Interesse hätten. Durch die jüngsten Sanktionen sowohl von Indien als auch von Pakistan haben sich die Beziehungen weiter dramatisch verschlechtert. Das wirft natürlich auch ein schlechtes Licht auf eine künftige Lösung der Kaschmirfrage.

Das Gespräch führte Christoph Schwanitz, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 07. Mai 2025 um 18:00 Uhr.